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Aktuell

Munem Wasif, Seeds Shall Set Us Free

Fotogalleriet, Oslo

21. März – 12. Mai 2024

 

Munem Wasif, der in Dhaka, Bangladesch, lebt, hat sich in den letzten Jahren der Dokumentarfotografie, dem Filmemachen und der künstlerischen Untersuchungen gemeinschaftlich kontrollierter und auf Biodiversität basierender Lebensmittelsysteme gewidmet. Die Ausstellung in der Fotogalleriet Oslo geht von „Seeds Shall Take Us Free“ (2017–2021) aus, einer Serie von Dokumenten, Fotografien und Cyanotypien, die sich auf wissenschaftliche Darstellungen und „Alpona“, die bengalische Praxis der rituellen Bodenmalerei mit Reispaste, beziehen.

Reiskörner, Pflanzenanbau und eine „ökosophische“ Form der Landwirtschaft bilden die Ausgangspunkte für die Förderung des Wissens über die Artenvielfalt, die Geschichte des ökologischen Kolonialismus in Bangladesch und der Zerstörung der landwirtschaftlichen Ökologie durch die Einführung von Monokulturen in Plantagen, die nicht nur die lokale Artenvielfalt zu zerstören drohten, sondern auch zu Hungersnöten führten. In enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, Landwirt*innen und der in Bangladesch ansässigen Organisation UBINIG untersucht Wasif alternative Formen der Landwirtschaft und indigenes landwirtschaftliches Wissen. Auf diese Weise will er Wissen über nachhaltige Praktiken verbreiten, die sich von jenem gentechnisch veränderten Saatgut wegbewegen, das von der industriellen Lebensmitteltechnologie propagiert wird und zu Schulden, Vertreibung und Enteignung führt.

Über seine fortlaufende Recherche und neu entwickelte Produktionen macht Wasif andere mögliche Formen des Lebens und einer vom Profit losgelösten Subsistenz greifbar. Eines seiner Werke leitet sich von dem Wort „onabadi“ ab, das in Bangla „unkultiviert“ bedeutet und einen Raum beschreibt, der stets in das Konzept der Landwirtschaft einbezogen und integraler Bestandteil unserer Beziehung zur Natur ist.

In engem Dialog mit dem Künstler und zur Verankerung der Ausstellung im lokalen Kontext findet eine Reihe interdisziplinärer Veranstaltungen statt, die über lokale Beiträgen aus Asien und dem Norden, die sich mit der Politik der Produktion, Landnutzung und Ernährung befassen, Diskussionen zwischen verschiedenen Geografien initiieren. Die European Kunsthalle (Rike Frank) und die Fotogalleriet (Antonio Cataldo und Miki Gebrelul) sind Ko-Kuratoren der Ausstellung und dieses Programms. Zur Ausstellung ist ein Essay von Tania Roy entstanden.

Die Ausstellung und die mit ihr verbundenen Veranstaltungen werden vom Arts Council Norway und der Gwaertler Foundation gefördert.

 

 

Not Just a Place but a Situation – Inside the Outset, Zypern 2023 / 24

Im Herbst 2021 eröffnete in der UN Pufferzone auf Zypern „Inside the Outset: Evoking a Space of Passage“ von Rosa Barba. Die zweiteilige Arbeit besteht aus einem Film, der zur Eröffnung gezeigt wurde, und einem in die Landschaft der Pufferzone eingelassenen Amphitheater. Dieses sollte sowohl von der besetzten türkisch-zypriotischen als auch von der griechisch-zypriotischen Seite zugänglich sein und als Freilichtkino, Bühne und Versammlungsort genutzt werden. In der durch eine hohe Biodiversität belebten und zugleich für Menschen an sich unzugänglichen Pufferzone sollten neue Verbindungslinien zwischen Nord und Süd entstehen, die sich im Areal des Kinos kreuzen.
Rosa Barba lud die European Kunsthalle – selbst ein Ort ohne eigenen physischen Ort, der stets in Beziehung zu anderen Orten und Gegebenheiten Form annimmt – ein, gemeinsam mit lokalen Akteur*innen ein Programm für das Kino und dessen Umgebung zu erarbeiten. Ziel war es, durch eine kuratorisch-künstlerische Aktivierung langfristig eine Präsenz entstehen zu lassen, die den zahlreichen zypriotischen Gemeinschaften in Pufferzone einen Raum anbietet.
In Zusammenarbeit mit Famagusta Avenue Garage, einem zypriotischen, interkommunalen Kulturzentrum, und unterstützt vom Goethe-Institut, recherchierten wir Ende 2023 zu Möglichkeiten und Machbarkeiten einer solchen grenzübergreifenden Aktivierung des Kinos, führten Gespräche und entwickelten zusammen mit Künstler*innen potenzielle zukünftige Szenarien. Aus den Gesprächen entstand unter anderem der Coming Together at Inside the Outset der in Nikosia lebenden Filmwissenschaftlerin und Kuratorin Olga Kourelou. In ihrem Text beschreibt sie die topolgische und politische Situation vor Ort und geht au die Geschichte und Sozialität des Open Air Kinos als Versammlungsort ein.

Gefördert durch den Projektfonds Bildende Kunst des Goethe-Instituts.

 

 

Sarah Pierce, Scene of the Myth

Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig (GfZK)

26. Jänner – 26. Mai 2024

Mit „Scene of the Myth“ zeigt die Galerie für Zeitgenössische Leipzig (GfZK) die erste umfassende Einzelausstellung der Künstlerin Sarah Pierce in Deutschland. Die Ausstellung, die zuvor im Irish Museum of Modern Art Dublin (IMMA) zu sehen war, setzt acht raumgreifende Installationen, Performances und Videoarbeiten, die über einen Zeitraum von zwanzig Jahre entstanden sind, in Verbindung. Ausgehend von den diffizilen Beziehungen zwischen jenen Erzählungen, die wir reproduzieren, und jenen, die wir hinter uns lassen wollen, fragt „Scene of the Myth“, was es bedeutet, sich in einer Gemeinschaft zu versammeln, zu reflektieren und zu handeln. Zahlreiche Arbeiten beziehen sich auf das Interesse der Künstlerin an der Figur der Studierenden und dem fragilen Verhältnis zwischen Lernen und Lehre, Politik und Kunstschaffen. Studierende sind regelmäßige Beteiligte an den Performances und Demonstrationen.

„Sarah Pierce: Scene of the Myth“, kuratiert von der European Kunsthalle, ist eine Produktion des IMMA – Irish Museum of Modern Art in Zusammenarbeit mit der GfZK – Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig und der John Hansard Gallery, Southampton.

Unterstützt von Zeitgeist Ireland 24 – A season of Irish arts and culture in Germany throughout 2024.

 

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Institution

Die European Kunsthalle war und ist eine Institution ohne eigenen Raum. Sie definiert sich als Kunsthalle, da wir an der Geschichte dieser Form der Institution und ihrer Idee von Öffentlichkeit interessiert sind. In ihrer speziellen Ausprägung als ein Ort „ohne eigenen physischen Ort“ ist die European Kunsthalle mit anderen Orten verbunden. Sie ereignet sich stets in Figurationen.

Aktuell ist die European Kunsthalle in Wien als gemeinnütziger Verein registiert. Der Idee der situativen Anwesenheit folgend, wird die European Kunsthalle in Wien und anderen Orten stattfinden.

 

GESCHICHTE

2002 führte der Abriss des Josef-Haubrich-Forums in Köln zu einem Protest, aus dem heraus ein Verein entstand, der wiederum das Projekt European Kunsthalle initiierte. Beabsichtigt war damals, die Bedingungen und die Praxis des Kuratorischen wie der zeitgenössischen Kunst über die spezifisch lokale Situation hinaus zu untersuchen und sich aktiv an einer Diskussionen über die Umwandlung des städtischen Raums und seiner sozialen Dimension im Rahmen einer neu gegründeten Kunsthalle zu beteiligen. In der Anfangsphase des Projektes European Kunsthalle bestand die wichtigste Aufgabe deshalb darin, die Möglichkeiten und Bedingungen einer neuen Kunsthalle für Köln als Teil des Öffentlichen und als zukünftigen Handlungsraum zu formulieren.

Von 2005 bis 2007 hat die European Kunsthalle Modelle des kuratorischen Denkens und Handelns im Umgang mit zeitgenössischer Kunst in verschiedenen Formaten und Ausstellungen getestet. Die Frage, welche institutionellen Formate in zeitgenössischen kulturellen und politischen Bedingungen funktionieren könnten, war von zentraler Bedeutung. Die an keinen bestimmten Raum gebundenen Ausstellungen innerhalb der funktionierenden Strukturen einer Kunsthalle boten die Möglichkeit, einen Reflexionsprozess über die spezifische Situation von Köln hinaus zu initiieren. Anstatt das Modell Kunsthalle standortspezifisch zu adaptieren, fokussierten wir die Entwicklung eines institutionellen Formats, das Perspektiven für eine Stadtgesellschaft über die Präsentation zeitgenössischer Kunst hinaus eröffnet.

Konkrete Aktivitäten wie die einmonatige Veranstaltungsreihe „Under Construction“, die Vorträge, Diskussionen und Präsentationen von Vertreter:innen aus Kunst, Architektur, Soziologie und Politik an verschiedenen Orten in ganz Köln präsentierte, trafen dabei auf die Forschungen eines Architektenteams zu stabilen und instabilem Räume, deren Ergebnisse in einer Studie publiziert wurden. Mit dem zweijährigen Projekt „European Kunsthalle c/o Ebertplatz“ (2008/2009) verlagerte die Kunsthalle ihren Schwerpunkt dann nach der ersten nomadischen Phase. In einer von Dorit Margreiter gestalteten Raumstruktur operierte die European Kunsthalle vorübergehend von einem zentralen, lebendigen Innenstadtplatz heraus. „European Kunsthalle c/o Ebertplatz“ fragte danach, wie ein vorhandener Raum zum Kunstraum wird und welche erweiterten Möglichkeiten der Funktion und Wahrnehmung er bieten kann. Die minimalistische, modulare Struktur von Margreiter bildete den Rahmen für verschiedene Ausstellungsprojekte, für die Künstler:innen meist neue Arbeiten schufen und auf die konkrete Situation reagierten. Parallel hierzu kuratierte die European Kunsthalle zwischen August 2009 und Mai 2010 das Programm des Ausstellungsraums Ludlow 38 des Goethe-Instituts in New York. Während dieser Zeit organisierte sie eine Reihe von Ausstellungen mit international renommierten, meist europäischen und noch selten in New York gezeigten Künstler:innen.

Später konzentrierte sich die European Kunsthalle wieder explizit auf dezentralisierte Aktivitäten und Kooperationen. Als Institution ohne dauerhaften Raum definierte sie sich über ihre performative Präsenz und existierte dort, wo ihre Projekte stattfanden. Kooperationen mit der Akademie für Medienkunst Köln, dem Kunsthaus Bregenz und der Akademie für bildende Kunst in Wien führten zur Konzeption von Ausstellungen, die durch die (Co-) Autorschaft der European Kunsthalle eine unmittelbare Reflexion über deren institutionelles Modell initiierten.

Diese Website dokumentiert die verschiedenen Aktivitäten der European Kunsthalle von 2005 bis heute.

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Curatorial Research

Seit kuratorische Praxis im zeitgenössischen Diskurs einen Platz einnimmt, der ihr sowohl eigenständige gestalterische als auch vermittelnde Fähigkeiten zuspricht, hat die Frage nach den Spezifika einer kuratorisch vorgehenden Bedeutungsproduktion an Gewicht gewonnen. Mit ihr wird die ursprünglich vorrangig dienende Aufgabe des Kuratierens, die, abgeleitet vom Lateinischen „curare“, auf eine bestmögliche Präsentation von Kunst und Kultur ausgerichtet ist, in Verhältnis gesetzt zu den transformativen – den interpretierenden, subjektivierenden und intraagierenden – Verfahren und Effekten, die mit den dynamischen Konstellationen des Kuratorischen einhergehen. In welcher Weise, mit welchen Techniken und Strategien das Zusammenführen von Menschen, anderen Lebewesen und Dingen in ihren Verknüpfungen im Öffentlichen deren (Selbst- und Rollen-) Verständnis verändern kann, steht dabei im Zentrum der Auseinandersetzung, die uns interessiert. In den damit assoziierten Forschungskomplexen verschieben sich nicht nur Kompetenzen, die in den vergangenen 50 Jahren unterschiedliche Austragungsformen der Konkurrenz um Teilhabe zwischen Künstler*innen, Kurator*innen, Vermittler*innen und Wissenschaftler*innen und Publikum hervorgebracht haben; sie besitzen darüber hinaus besondere Relevanz für die aktuellen Diskussionen um die gesellschaftliche Aufgabe von Kunstinstitutionen, stehen hier doch unter ästhetischen, ganz wesentlich aber auch sozialen und politischen Gesichtspunkten die Aktualisierung von Wissensformationen und ihren Archiven sowie deren Mitwirkung an Geschichtsschreibung zur Debatte. Vor allem aber bieten sie eine „undisziplinierte“ Forschungsperspektive, die etablierte Beziehungsformen, Strategien und Rahmungen der Bedeutungsproduktionen durchquert. Insofern bedeutet die Frage nach einem kuratorischen Forschen eine Suchbewegung, die auf alternative Beziehungsweisen, Reziprozität und irritierende, widerständige Potentiale des Versammelns im Öffentlichen gerichtet ist.

(Beatrice von Bismarck und Rike Frank)

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Typologie Kunsthalle

Die Kunsthalle ist eine Typologie, die soziale Ideen über ihre Architektur artikuliert. Zugleich ist sie ein konzeptionelles Modell, das die Instabilität des ihre Gründungszeit prägenden „Bürgerlichen“ aufzeigt und normative Formen von Subjektivität und die damit verbundenen sozialen Beziehungen von innen heraus thematisiert. Zahlreiche Kunsthallen wurden in den 1960er Jahren gegründet, um Raum für neue, experimentelle künstlerische Praktiken sowie für den Dialog mit und zwischen dem Publikum zu bieten und so die Idee des Öffentlichen zu stärken. Im Gegensatz zum sammelnden Museum steht das Modell Kunsthalle folglich in einer anderen Beziehung zur Relation von Infrastruktur, Kunst und dem Kuratorischen.
Die European Kunsthalle basiert auf der Idee der Kunsthalle als einer kontingenten institutionellen Typologie, die situativ, temporär, offen und zeitgenössisch ist, ohne sich an einem konkreten Ort zu manifestieren. „Typologie Kunsthalle” versammelt Perspektiven auf die historische Genese, die politischen Implikationen sowie die gesellschaftlich-soziale Positionierung des Modells Kunsthalle und reflektiert die Rolle der Institution als kuratorisches Experimentierfeld und Resonanzraum künstlerischer Praxis. „Typologie Kunsthalle” versteht sich in diesem Sinne als Raum einer stetig forschenden Praxis, die sich digital, aber auch in Veranstaltungen und anderen Aktivitäten manifestiert.

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Archiv

Feminist Storytelling

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Weaving Transgenerational Archives


Landscapes of Resistance
. Ein Film von Marta Popivoda
Montag, 15. Mai 2023, 20 Uhr. 
Admiral Kino, Burggasse 119, 1070 Wien


Wie kann eine Landschaft sprechen?
 Das ist, als würde man sich fragen, ob das Gras, die Grillen 
oder der Teich nur eine Kulisse des Geschehens sind 
oder, mit ihren Schatten, Tiefen, Geräuschen, 
Teilnehmer des Geschehens, 
die darauf warten, zu Erzählern zu werden.


„Landscapes of Resistance“ (2021, 95. Min) ist eine Reise entlang der Erinnerungen der antifaschistischen Kämpferin Sonja (97), einer der ersten Partisaninnen in Jugoslawien, die auch zu den Anführerinnen der Widerstandsbewegung in Auschwitz gehörte. Während Sonja spricht, reisen wir durch die Landschaften ihrer revolutionären Jugend, wie sie sich heute präsentieren – die serbischen Wälder und Berge, das schlammige Gelände von Auschwitz und Sonjas kleines Haus in Belgrad, wo sie mit ihrem Mann und ihrer Katze lebt. Sonja ist eine großartige Erzählerin, die mühelos von vergangenen Ereignissen zu berichten weiß und uns so direkt in jene besondere Atmosphäre und Mentalität hineinzieht, aus der der antifaschistische Widerstand entstanden ist. Wir lassen ihre Geschichte durch die Zeit reisen, hin zu einer neuen Generation von Antifaschist:innen – um zu zeigen, dass Widerstand stets gedacht und praktiziert werden kann.
Im Anschluss findet ein Gespräch mit der Regisseurin statt.


Marta Popivoda ist Filmemacherin, Künstlerin und Forscherin und lebt und arbeitet zwischen Berlin und Belgrad. Hauptthemen ihrer Arbeit sind das Spannungsverhältnis zwischen Erinnerung, Geschichte und Ideologie sowie die Beziehungen zwischen kollektiven und individuellen Körpern. Popivoda nähert sich diesen Themen aus einer feministischen und queeren Perspektive. In ihren jüngsten Arbeiten verwendet sie Landschaftsdramaturgie, feministisches Storytelling und eine radikale Verlangsamung, um Sprachbilder und Szenen der (antifaschistischen) Erinnerung zu produzieren. Ihr erster Dokumentarfilm, „Yugoslavia, How Ideology Moved Our Collective Body“, wurde auf der 63. Berlinale uraufgeführt und später auf vielen internationalen Filmfestivals gezeigt. Der Film ist Teil der Filmsammlung des MoMA New York und wird in „What Is Contemporary Art?“ gezeigt, dem Kurs des MoMA über zeitgenössische Kunst von 1980 bis heute. Ihr zweiter Dokumentarfilm, „Landscapes of Resistance“, wurde im Tiger-Wettbewerb des 50. Internationalen Filmfestivals Rotterdam uraufgeführt, auf mehr als 50 Filmfestivals weltweit gezeigt und mit mehr als zehn Preisen ausgezeichnet. Popivodas Arbeiten wurden in bedeutenden Institutionen, u.a. der Tate Modern London, dem MoMA New York, dem MAXXI Rom, dem M HKA Antwerpen, dem Museum of Modern Art + MSUM Ljubljana gezeigt. Sie erhielt den renommierten Berliner Kunstpreis für Bildende Kunst der Akademie der Künste Berlin und den Edith-Russ-Haus Award for Emerging Media Artists. Im Jahr 2022 wurden ihre Arbeiten auf der 12. Berlin Biennale, der Manifesta 14 und der 59. Belgrader Biennale. Popivoda unterrichtet regelmäßig Film an der SNDO, der Universität der Künste in Amsterdam, und der Oslo National Academy of the Arts. Sie schätzt die kollektive Praxis des Kunstschaffens und der Forschung und war viele Jahre lang Teil des Kollektivs Walking Theory. Heute arbeitet sie häufig mit der Theoretikerin und Dramaturgin Ana Vujanović bei der Produktion von Filmen, Videoinstallationen und Performances zusammen.

 

Feminisming Storytelling


Vortrag von Ana Vujanović
Dienstag, 16. Mai 2023, 19 Uhr. 
Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien


„Mein Vortrag beschäftigt sich mit dem Geschichtenerzählen, das in der europäischen Kultur traditionell als eine diskursive Praxis von Frauen angesehen wird. Ausgehend von Adriana Cavareros Darstellung der sozio-historischen Gründe für diese Verortung in der Sphäre des Weiblichen werde ich historische Erzählräume wie Küchen und Märkte sowie ihre epistemologische Differenz zu den Diskursen der Philosophie und Politik aufarbeiten. Dann werde ich dazu anregen, darüber nachzudenken, wie eine Praxis von Frauen zu einer feministischen Praxis werden kann, in der ‚das Weibliche‘ zu einem politischen Prozess wird, der wiederum sexuelle und geschlechtliche Binaritäten sowie die des öffentlichen und privaten Bereichs überschreitet.“ (Ana Vujanović)


Ana Vujanović konzentriert sich als Kulturarbeiterin – Forscherin, Autorin, Dramaturgin, Dozentin – darauf, kritische Theorie, zeitgenössische Kunst und eine sozialistisch-feministische politische Haltung zusammenzubringen. Seit 2016 ist sie Teammitglied und Mentorin an der SNDO, Amsterdam, und seit 2022 Gastprofessorin am HZT Berlin. Sie war Gründungsmitglied der in Belgrad ansässigen theoretisch-künstlerischen Plattform TkH [Walking Theory] und Herausgeberin des TkH Journal for Performing Arts Theory. Mehrere Jahre lang engagierte sie sich besonders für die Stärkung der unabhängigen Kulturszene in Belgrad und im ehemaligen Jugoslawien. Parallel veröffentlichte sie zahlreiche Artikel und Bücher, zuletzt „A Live Gathering: Performance and Politics in Contemporary Europe“ (2019), hg. mit L. A. Piazza, und „Toward a Transindividual Self: A Study in Social Bramaturgy“ (2022), mit B. Cvejic. Als Dramaturgin ist sie in den Bereichen Performance, Tanz und Video/Film tätig, zuletzt im Dokumentarfilm „Landscapes of Resistance“ (2021) unter der Regie von M. Popivoda.

 

The Carrier Bag. Workshop mit Marta Popivoda, Ana Vujanović und Gästen


Mittwoch, 17. Mai 2023, 11–17 Uhr. 
Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien


Der Workshop ist eine Hommage an das Geschichtenerzählen als Entscheidung oder Schicksal. Der Vormittag ist der Lektüre von Ursula K. Le Guins Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“ gewidmet. Um einen generationsübergreifenden Lernprozess zu fördern, werden wir am Nachmittag einen gemeinsamen Besuch und eine kollektive Interviewsituation mit der feministischen und queeren Künstlerin und Filmemacherin Katrina Daschner sowie Wilbirg Brainin-Donnenberg, Initiatorin des Drehbuchwettbewerbs If she can see it, she can be it. Female Characters against Clishes, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von FC GLORIA und Geschäftsführerin des Drehbuchforum, organisieren. Dabei werden wir nicht nur ihre Geschichten kennen lernen, sondern vor allem auch, wie man intensiv zuhört.
 
„Feminist Storytelling“ ist Teil von „For More Than One Voice“ und wird von der Stadt Wien Kultur und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport gefördert.

 

Material Voices

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Thinking Exhibition Making through Voice, Body and Space


Vorträge von Leire Vergara und Miren Jaio, bulegoa z/b, gefolgt von einem künstlerischen Beitrag von Anxxxious_t&Landa

Freitag, 12. Mai 2023, 19 Uhr
. Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien


„Material Voices entstand, nachdem wir die Erzählungen einiger Kuratorinnen über ihre meist spärlichen, verstreuten und fragmentierten Archive gehört hatten. Deren fragiler Status machte uns den flüchtigen Charakter des Ausstellungsformats und auch das Zerbrechliche von Praktiken bewusst, die üblicherweise im Rahmen freier Tätigkeit durchgeführt werden. Material Voices entstand aus dem Wunsch heraus, dieser Unsicherheit Aufmerksamkeit zu schenken und andere Wege zu finden, das Medium der Ausstellung zu denken sowie sich von der weiblichen Stimme hin zu einem gender-diversen Narrativ zu bewegen.“ (bulegoa z/b)


Bulegoa z/b ist ein Büro für Kunst und Wissen im Stadtteil Solokoetxe in Bilbao. Es handelt sich um eine Initiative, die aus einem gemeinsamen Interesse an Themen wie kritischen pädagogischen Praktiken, situiertem Wissen und kollaborativen Methoden, Feminismus und dekolonialer Perspektive, Prozessen der Historisierung und kultureller Übersetzung sowie sozialem Wandel und seinem Verhältnis zur Kunst entstanden ist. Bulegoa z/b organisiert Seminare, Präsentationen, Filmvorführungen, Performances, Vorträge, Gespräche und andere Aktivitäten. Mitglieder von Bulegoa z/b sind Beatriz Cavia, Miren Jaio und Leire Vergara. Silvia Coppola ist für die Produktion und Auria Etxeandia für die Kommunikation zuständig.

 

Material Voices: Feminist Genealogies of the Work of Making Exhibitions


Workshop mit Leire Vergara, Miren Jaio (bulegoa z/b) und der European Kunsthalle
Samstag, 13. Mai 2023, 11–17 Uhr. 
Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien

Material Voices, ein von Bulegoa z/b (Bilbao) im Jahr 2021 initiiertes Projekt, stellt unter anderem folgende Fragen: Was bedeutet es, Ausstellungen aus einer feministischen Perspektive zu gestalten? Welche Art von Genealogien werden aus der Untersuchung solcher Arbeitsweisen hervorgehen? Werden diese Genealogien in der Lage sein, andere etablierte Genealogien in Frage zu stellen? An welche Grenzen stößt die kuratorische Praxis als unabhängige Praxis im Verhältnis zu institutionellen Rahmenbedingungen? Und was macht eine Ausstellung zu einem außergewöhnlichen Experimentierfeld für die Umsetzung situierter Arbeitsweisen? Diese und weitere Fragen sollen in diesem Workshop erörtert werden, um über die Möglichkeiten einer kollektiven Forschung zur Ausstellungsarbeit aus feministischer Perspektive nachzudenken.

 

„Material Voices“ ist Teil von „For More Than One Voice“ und wird von der Stadt Wien Kultur und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport gefördert.

Für mehr als eine Stimme

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Katarina Zdjelar, Sabeth Buchmann und European Kunsthalle

mumok Kino, 9. November 2022

Die Beziehungen zwischen Stimmlage und sozialer Anerkennung, die Effekt der klanglichen Modulation sowie die Reflexion der stets auch von soziokulturellen Hierarchien durchdrungenen Resonanzbeziehungen zwischen Körpern bilden den Kern der künstlerischen Praxis von Katarina Zdjelar. Ihr Interesse gilt insbesondere den materiellen Nuancen, die Klang, Stimme und Tonfall formen, und der Frage nach der Transformation ihrer Markierungen.

Programm

Reading „Europe Where Have You Displaced Love?“, 2019, 30 Min.

AAA Mein Herz, 2016, 5 Min.

Rise Again, 2011, 11 Min.

The Perfekt Sound, 2009, 15 Min.

Not A Pillar Not A Pile (Dance for Dore Hoyer), 2018, 9 Min.

Einführung von Rike Frank. Im Anschluss an die Vorführung findet ein Gespräch zwischen Sabeth Buchmann und Katarina Zdjelar, moderiert von Rike Frank und Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), statt.

Sabeth Buchmann ist Kunsthistorikerin und -kritikerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Wien u. a. als Professorin für Geschichte der modernen und postmodernen Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien, als Mitherausgeberin von PolYPen, einer Reihe zur Kunstkritik und politischen Theorie (b_books, Berlin) und als Vorstandsmitglied von Texte zur Kunst und European Kunsthalle. Neben Büchern zur modernen und zeitgenössischen Kunst publiziert sie regelmäßig Beiträge in Anthologien, Katalogen und Zeitschriften, u. a. Afterall, Artforum, Camera Austria, Springerin, Texte zur Kunst.

Katarina Zdjelar arbeitet mit dem Medium Video und erforscht die Art und Weise, wie ein Körper einem anderen als Ort des Widerstands und der Möglichkeiten begegnet und verweist auf die fragile Kraft kollektiver Aktionen in der Gegenwart. Stimme, Musik, Klang und Sprache stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. In ihren aktuellsten Arbeiten befasst sie sich mit den Möglichkeiten und dem Vermächtnis pazifistischer, (proto-) feministischer Praktiken. Zdjelar vertrat Serbien auf der 53. Biennale von Venedig und war Teil zahlreicher internationaler Einzel- und Gruppenausstellungen.

mumok, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Eine Kooperation mit dem mumok kino.

 

Between the Sounds

Workshop mit Katarina Zdjelar

Donnerstag, 10. November 2022, 11-13 Uhr

In ihrem Workshop wird sich Katarina Zdjelar mit dem Thema Stimme, Ton und Sprache im Kontext zeitgenössischer Kunst und kritischer Theorie beschäftigen. Mithilfe ausgesuchter Beispiele, darunter alltägliche und historische Gegenstände, theoretische Konzepte und einige Kunstwerke, wird sie der Rolle von Stimme und Ton in Bezug zu Kunst, Bild, Identität und politischer Agency (als individueller und kollektiver Handlung) nachgehen. Teilnehmer:innen sind eingeladen, einen Gegenstand ihres Interesses mitzubringen. Das kann ein Material sein, ein Text, Satz, Sound, Bild, Kunstwerk, eine Erfahrung, ein Gedicht … Obschon Zdjelar international viele Workshops für Kunst- und Filmstudierende auf Master und Ph.d-Level gibt, sind keine Vorkenntnisse erforderlich – alle sind willkommen.

Packhaus, Marxergasse 24/2, 1030 Vienna

 

Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport der Republik Österreich

 

 

 

 

 

Dora García, The Messenger

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„Ein Bote muss eine Botschaft von überaus wichtiger Bedeutung überbringen, doch zuerst muss sie die eine Person finden, die in der Lage ist, die Botschaft zu verstehen.“

Mit der Einladung an die Künstlerin Dora García, ihre Langzeit-Performance The Messenger nach Wien zu bringen, eröffnet die European Kunsthalle eine neue Phase.

The Messenger beginnt damit, dass ein Performer eine Audiobotschaft erhält und diese auswendig lernt. Als Überbringer der Botschaft verfügt er einzig über die Information, dass die Nachricht in einer Sprache verfasst ist, die von einer der vielen, in Wien beheimateten Sprachgemeinschaften gesprochen wird. Er selbst versteht die Sprache allerdings nicht, noch weiß er, in welcher Sprache die Nachricht verfasst ist. Seine Aufgabe besteht darin, jene Person zu finden, die die Sprache spricht und in der Lage ist, die Nachricht für ihn zu entschlüsseln.

Dora Garcías Langzeit-Performances können unter Umständen über Jahre laufen. Viele ihrer Arbeiten aktivieren die (intra-relationalen) Beziehungen zwischen Publikum, Werk und Ort und untersuchen diese. Die den Performances zu Grunde liegenden Anleitungen geben den Performern wiederum weitgehende Handlungsmöglichkeiten und Autorenschaft in der Ausführung. In diesem Sinne ist The Messenger nicht vorrangig eine Suche nach der Bedeutung der Botschaft, und auch Übersetzungsprogramme helfen dem Performer nicht, seine Aufgabe zu erfüllen. Vielmehr ist für die Bedeutung der Aktion und ihre Aussagekraft eine persönliche Interaktion zwischen dem Boten und jener Community, die die Sprache in Wien spricht, notwendig.

The Messenger fand erstmals 2002 in Brüssel statt und wurde seitdem in zehn weiteren Städten realisiert. The Messenger Wien fügt dem Projekt eine neue Sprachgemeinschaft hinzu.

Die Dechiffrierung der Botschaft und die dafür notwendigen Erkundungen sollen, so die Künstlerin, im „Low-Intensity-Modus“ erfolgen, also in den Alltag des Performers, seine Neugierde und Interessen ebenso wie Aktivitäten, Besorgungen, Spaziergänge und Fahrten durch die Stadt integriert werden.

Ein Online-Tagebuch ermöglicht dem Boten, in Texten, mittels Fotos und Videos von den Streifzügen, persönlichen Begegnungen, Hinweisen, denen er gefolgt ist, und den Erkenntnissen, die sich über die Zeit sammeln, zu berichten. Die Tagebucheinträge erzeugen eine Schnittstelle zu einer breiteren Öffentlichkeit, über die wir als Leser:innen in das Werk einsteigen, und bilden den Ort der Erzählungen: die Berichte des Boten, seine Perspektiven, Gedanken und Kommentare geben Einblicke in das historische und aktuelle Wien, seine Bewohner:innen, Narrative und Codes sowie bislang fehlende Querverbindungen zwischen diesen.

Dora García, The Messenger:
http://doragarcia.org/inserts/themessenger/index.html

Dora Garcías The Messenger wird unterstützt vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport der Republik Österreich.

Broken Relations: Infrastruktur, Ästhetik und Kritik

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Konferenz @ Akademie der bildenden Künste Wien, 21. Mai 2022

Die Konferenz im Rahmen des Ausstellungs-, Lehr- und Publikationsprojekts „Broken Relations: Infrastruktur, Ästhetik und Kritik“ fokussiert das Thema Infrastrukturen im Bereich der Kunst und deren Vermittlung. Ein spezieller Fokus sind künstlerische und edukative Praktiken, die ihre eigenen infrastrukturellen Bedingtheiten in den Methoden und Inhalten der Darstellung und Vermittlung reflektieren. Unter Infrastrukturen sind materielle Phänomene und physische Netzwerke genauso wie immaterielle Beziehungen und symbolische Handlungen zu verstehen, die, auf sichtbare und unsichtbare Weise, unsere Gegenwart und somit den Horizont ästhetischer Wahrnehmung formen.

Die European Kunsthalle stellt im Rahmen eines Gesprächs über Infrastrukturen des Verkehrs und des Reisens
 das Konzept des Prozesses als sozialer Ort und das Format der Wanderausstellung zur Diskussion. Ging es in der Anfangsphase der European Kunsthalle zunächst um institutionelle Gebilde, die einen Möglichkeitsraum aufspannen, in welchem sich strukturelle Charakteristika stabiler und instabiler Orte verbinden, so verschob sich im Laufe der Zeit die Idee dessen, was eine kuratorische Infrastruktur sein könnte bzw. welche Infrastrukturen im Kuratorischen stecken.

Talk mit Carolin Bohlmann, Stephanie Damianitsch, Rike Frank, Vanessa Joan Müller und Ursula Ströbele, moderiert von Sabeth Buchmann und Ilse Lafer

Calibrating the Compass

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Talk at Ta(r)dino 6 Art Platform, Baku, Azerbaijan

February 8, 2021
19:30 GMT +4 on ZOOM platform

How does an art space operate that has no physical space? How does it relate to known parameters such as locality and publics, duration and address? We are interested in the possibilities of an institutional model that rethinks its role, relations and resources. This is when the curatorial comes into play in our idea of an institution specifically adapting to the situation it is hosted by. Because our curatorial work is also guided by the experience that it is in particular smaller institutions and initiatives not following the traditional models that emit radical change. In our presentation, we will talk about our curatorial approach and our plans within the framework of such institutional considerations.

Launched in 2019, Ta(r)dino 6 Art Platform is a Baku-based, self-organised art initiative with international outreach. Programs include exhibitions, commissioned site-specific artworks, artist talks and workshops by local and international artists and curators to help grow Baku’s emerging art community.

Future for a Nordic Kunsthal

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Zwei Jahrzehnte, nachdem Hans Ulrich Obrist mit seiner Ausstellung Nuit Blanche im Musée de l’Art Moderne de la Ville de Paris den Begriff „Nordic Miracle“ prägte, hat die nordische Kunstszene eine Zeit rasanter Internationalisierung erlebt. Insbesondere die nordischen Kunsthallen haben einen dynamischen Austausch zwischen Künstler*innen, Kurator*innen und anderen Institutionen ermöglicht, der die nationale und internationale Sichtbarkeit von Kunst aus der nordischen Region weiterhin prägt. Future of a Nordic Kunsthal ist eine Diskussion der European Kunsthalle in Zusammenarbeit mit dem Nordic Network for Contemporary Art Spaces, die die Typologie der nordischen Kunsthal als Experimentierfeld, Plattform für internationalen Austausch und als Material für künstlerische Intervention untersucht.

Mit:
Callum Ross, Curator in Residence, Kunsthal 44Möen
Vanessa Joan Müller, European Kunsthalle
Mathias Kryger, Kurator und Kritiker
Henrik Plenge Jakobsen, Künstler
Kirstine Kern, Nordic Network for Contemporary Art Spaces

27. August 2017
Copenhagen Contemporary
Trangravsvej 10-12, København K, 1436 Copenhagen

European Kunsthalle @ chambre d’amis

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Katrin Mayer: Forbidden Symmetries. Letter 01 (European Kunsthalle), Vienna 2015

Akademie der Bildenden Künste / Semperdepot, Wien, 3.–17. Juni 2015

In einem Kristall sind die Atome bzw. Moleküle in einer periodischen Struktur angeordnet, die sich in jeder der drei Raumrichtungen wiederholt. Jede Zelle ist von Zellen umgeben, die ein identisches Muster bilden. In einem Quasikristall sind die Atome bzw. Moleküle hingegen „quasiperiodisch“ angeordnet. Zwar zeigen die Atome eine regelmäßige Struktur, jede Zelle ist jedoch von einem jeweils anderen Muster umgeben. Quasikristalle werden deshalb auch als verbotene Symmetrien bezeichnet. Schneidet man einen Quasikristall durch, zeigt die Schnittstelle die so genannte Penrose Parkettierung: ein aperiodisches Kachelmuster, das eine Ebene lückenlos füllen kann, ohne dass sich dabei ein Grundschema in regelmäßigen Intervallen wiederholt.

Katrin Mayer verbindet in „Forbidden Symmetries“ Überlegungen zu Quasikristallen und den geometrischen Mustern, die diese aufweisen, mit der Technik des Klöppelns. Auch diese Frauen vorbehaltene Textilkunst basiert auf mathematischen und geometrischen Berechnungen, die symmetrische Muster hervorbringen. Klöppelspitzen entstehen aus dem systematischen Verdrehen, Verknüpfen und Verschlingen verschiedener Fäden. Grundlage jeder Spitze bildet eine Mustervorlage, der Klöppelbrief, der diese Prozesse beschreibt: eine geometrische Zeichnung, die als Skript dient. Obschon Klöppelspitzen als textile Verzierung am Rande gedacht sind, verbirgt sich in ihren eine hochkomplexe abstrakte Logik, die Serialität und Geometrie mit einer aus Naturformen abstrahierten Ornamentik verbindet. „Forbidden Symmetries“ überträgt entsprechend eine quasikristalline Struktur in eine raumgreifende Spitze, die vor Ort anhand eines eigens erstellten Klöppelbriefes erstellt wird.

Gottfried Semper (1803-1879) stellt in seinen Schriften wiederholt Verbindungen zwischen Knoten, die er als die ältesten technischen Symbole beschreibt, Netzwerken, Geflechten, Spitzenwerken, Matten, Geweben und Architektur her. Im Rückgriff auf Semper und dessen aus dem Textilen abgeleiteter Revision der ästhetischen wie ideologischen Polarisierungen von Schein und Sein, autonomer Schöpfung und Dekoration entfaltet Katrin Mayer ihrerseits eine visuelle wie diskursive Verknüpfung verschiedener Überlegungen zum Klöppelwerk als Zusammenspiel verknüpfter und verschlungener Fäden: als Körper ohne Rahmung und als Material, das sich zum Umraum verhalten muss. Die geheime Sprache des Klöppelbriefs spielt dabei ebenso eine Rolle wie die abstrakte Übertragung disparater Erkenntnisfelder aufeinander, die ihrerseits ein neues Beziehungsgeflecht entstehen lässt.

Desire Lines. A Symposium on Experimental Institutional Formats

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David Roberts Art Foundation, London

28.−29. November 2014

1967 ging der britische Künstler Richard Long in einer geraden Linie über ein Feld hin und her, bis seine Schritte eine Spur im Gras hinterließen. Vorbestimmte Wege führen nicht immer zum gewünschten Ziel, und sie verlaufen oft nicht direkt. Im Laufe der Zeit tragen Wanderer vielmehr die Oberfläche der Wiesen ab, um Sehnsuchtskarten zu erstellen. Der Titel dieses Symposiums hat seinen Titel von Longs Werk übernommen um zu reflektieren, was es heute für eine zeitgenössische Kunstinstitution bedeutet, sich zu kritischen Formen der Arbeit mit Künstler/innen und Kurator/innen zu bekennen. Die eingeladenen Institutionen basieren auf unterschiedlichen Konzepten, was eine zeitgenössische Kunstinstitution ausmacht, wie sie funktioniert und welche gesellschaftliche Verantwortung sie trägt. Wie gehen wir als Kurator/innen und Produzent/innen mit komplexen Zusammenhängen um und arbeiten mit ihnen?
Am ersten Tag geht ein Forum den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Institutionen und ihren jeweiligen Besonderheiten und Strategien nach. Der zweite Tag nimmt eine theoretischere Position ein, im Rahmen derer die Redner/innen ihre Vorstellungen und Ideale diskutieren. In diesem Zusammenhang wird „Begehren“ als eine Notwendigkeit angesehen, die niemals erfüllt wird, sondern immer wieder neu konstituiert werden muss und sich entsprechend der eigenen Position und Identität neu konfiguriert. Nach Lacan bedeutet Begehren, die Frage zu beantworten: „Was begehrt der Andere?“ Der Begriff des Begehrens bildet den Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Herstellung institutioneller Identität: Wie erzeugen wir Begehren durch ein vielfältige kreative Aktivitäten? Was konstituiert sich Begehren innerhalb eines Prozesses konstanter Neudefinition? Wie kann die Vision einer Institution auf aktuelle Situationen reagieren und zugleich Publikum und Künstler/innen inspirieren?
Die eingeladenen Institutionen, die alle nach 2007 gegründet wurden und ihren Sitz in Ägypten, Deutschland, dem Libanon, den Niederlanden, Portugal und dem Vereinigten Königreich haben, positionieren sich nicht innerhalb der Erwartungen des Marktes und des Publikums, sondern zeichnen sich durch ihr Engagement für Forschung und ihre Konzentration auf innovative Programme und Formate aus. Dieses Symposium, das gesellschaftspolitische, ökonomische und räumliche Zusammenhänge reflektiert, bietet die Gelegenheit einer Neubetrachtung, wie Unterschiede und Ähnlichkeiten verhandelt und in einen produktiven wie praktikablen Diskurs und eine Praxis verwandelt werden können.

98weeks wird von Zeina Assaf geleitet und wurde von Mirene und Marwa Arsanios mitbegründet. Es ist ein Forschungsprojekt mit Sitz in Beirut, das alle 98 Wochen seine Aufmerksamkeit auf ein neues Thema lenkt. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2007 konzentriert es sich auf künstlerische Forschung und kombiniert sowohl theoretische als auch praktische Fragestellungen.

Beirut ist ein Ausstellungsort in Kairo unter der Regie von Sarah Rifky, Jens Maier-Rothe und Antonia Alampi. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2012 betrachtet es den Aufbau einer Institution als kuratorischen Akt. Beirut beherbergt Künstler, Kunstwerke, Forschungsprojekte und andere Institutionen (lokal, regional, international), die sich mit Fragen zu Politik, Ökonomie, Bildung, Ökologie und Kunst auseinandersetzen möchten.

Die Kunsthalle Lissabon unter der Regie von João Mourao und Luis Silva hat ihren Sitz in Lissabon. Sie wurde 2009 als Wunsch nach Selbstreflexivität ins Leben gerufen, um über die bestehenden Bedingungen für die Entwicklung und Wahrnehmung institutioneller Praxis nachzudenken.

Das PRAXES Center for Contemporary Art ist ein gemeinnütziger Ort für internationale zeitgenössische Kunst und Forschung mit Sitz in Berlin. Das von Rhea Dall und Kristine Siegel im Jahr 2013 gegründete Projekt untersucht die Objekte, Prozesse und Interaktionen, die eine künstlerische Praxis ausmachen, in Halbjahreszyklen, die sich jeweils auf die gesamte Arbeitsspanne zweier Künstler/innen konzentrieren.

Rongwrong ist ein Raum für Kunst und Theorie in Amsterdam, der von Arnisa Zeqo und Antonia Carrara gemeinsam mit Laurie Cluitmans und Vincent Verhoef betrieben wird. Er wurde 2011 eröffnet und beschäftigt sich mit wiederkehrenden Fragen der Reibung zwischen dem inneren Selbst und den theoretischen, professionellen und künstlerischen Praktiken, die uns im täglichen Leben beschreiben und beschreiben.

Desire Lines wurde von Nicoletta Lambertucci (Kuratorin, DRAF) gemeinsam mit Sofia Lemos (Kuratorische Assistentin, DRAF) konzipiert und organisiert und von DRAF (David Roberts Art Foundation) in Zusammenarbeit mit der European Kunsthalle und dem Goldsmiths MFA Curating produziert.

In Bewegung. European Kunsthalle @ KUB Arena, Kunsthaus Bregenz

V

27. April–30. Juni 2013

Yane Calovski, David Maljkovic, Dorit Margreiter, Nick Mauss, Charlotte Moth, Stephen Willats, Johannes Wohnseifer

Projektbasiert, performativ, in Bewegung: So könnte die Vorgehensweise der European Kunsthalle beschrieben werden. 2005 in Köln initiiert, existiert sie als Institution jeweils dort, wo ihre Projekte stattfinden. Die European Kunsthalle manifestiert sich als Ereignis, erscheint, um wieder zu verschwinden und andernorts erneut aufzutauchen. Diese Betonung des Offenen, Prozesshaften überführt die Vorstellung einer räumlichen Verortung in ein fließendes Konzept, dessen Fokus verstärkt auf künstlerischen Prozessen liegt.
Die Präsentation in der KUB Arena stellt diesen Aspekt des Performativen, des Erscheinens und wieder Verschwindens von temporären künstlerischen Räumen ins Zentrum. Sie greift Aspekte vergangener Aktivitäten der European Kunsthalle auf und stellt zugleich künstlerische Positionen vor, die das Prinzip des Ereignishaften mit der Reflexion von Fragen zu kulturellen, sozialen und institutionellen Räumen verbinden.
So entwirft die Künstlerin Dorit Margreiter gemeinsam mit den Architekten Lina Streeruwitz und Luciano Parodi eine raumgreifende Ausstellungsarchitektur, die einen früheren Entwurf für die European Kunsthalle in Köln weiterdenkt. Modular angelegt, hatte die österreichische Künstlerin in Köln eine temporäre Raumstruktur geschaffen, deren letztes, damals nicht verwirklichtes Element sie nun in veränderter Form in Bregenz zur Aufführung bringt. Stephen Willats, der 2009 mit seiner multimedialen Arbeit In And Out The Underworld für den Kölner Ebertplatz den sozialen Aspekt dieses spezifischen Orts modellhaft fasste, präsentiert dieses Werk in einer eigens für Bregenz veränderten Version.
Während der mazedonische Künstler Yane Calovski, dessen Werk um Strukturen institutioneller und persönlicher Erzählungen kreist, in einer neuen Arbeit eine subjektive Lesart der Geschichte der European Kunsthalle vorschlägt, führt David Maljkovic in Display for Lost Pavilion at Metro Pictures, New York und Temporary Projection seine Auseinandersetzung mit den Präsentationsformen des Ausstellens und deren Reduzierung auf ihre Objekte fort, indem er einen Filmprojektor ohne Film und ein Soundsystem ohne Ton entwickelt. Johannes Wohnseifer wiederum präsentiert in einer Serie von Fotografien eine andere, ungewohnte Nutzung des musealen Raums. 1998 hatte er den Skateboarder Mark Gonzales eingeladen, speziell geschaffene Skulpturen als Rampen für eine Performance in den Sammlungsräumen des Städtischen Museums Abteiberg in Mönchengladbach zu nutzen. Nick Mauss und Charlotte Moth schließlich entwickeln neue Arbeiten für die Bregenzer Ausstellung.
Nach der Kooperation mit dem Van Abbemuseum, Eindhoven, im Jahr 2011 hat die KUB Arena zum zweiten Mal eine Institution eingeladen, die in ihrer Arbeitsweise und ihrer Programmatik viele Gemeinsamkeiten mit den Aktivitäten der KUB Arena aufweist.

Kuratiert von Vanessa Joan Müller & Astrid Wege (European Kunsthalle) und Eva Birkenstock & Yilmaz Dziewior (Kunsthaus Bregenz).

 

Themenwochenende 8. / 9. Juni 2013  
Das Themenwochenende widmete sich in Vorträgen und Talks den Potenzialen wie auch den Herausforderungen einer performativen Kunsthalle 

„Performative Kunsthallen“, Talk mit Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Joao Murao (Kunsthalle Lissabon), Luis Silva (Kunsthalle Lissabon) und Astrid Wege (European Kunsthalle)

„Keine Bleibe. Die Konjunktur des Nomadischen und der Spatial Turn“, Vortrag von Karen van den Berg (Professorin für Kunsttheorie, Zeppelin Universität Friedrichshafen), Moderation: Eva Birkenstock

„Erscheinen und Verschwinden“, kommentiertes Filmprogramm mit Werken von Oliver Husain, Matthias Meyer, Charlotte Moth und Mario Pfeiffer.

„Temporäre Räume für die Kunst“, Talk mit Dorit Margreiter (Wien) und Nikolaus Hirsch (Frankfurt am Main), Moderation: Vanessa Joan Müller

„Recount Redrawn“, Künstlergespräch mit Yane Calovski (Skopje) und Astrid Wege

 

 

Melvin Moti

V

8. September–20. Oktober 2012, Glasmoog, Köln

Die European Kunsthalle und Glasmoog, Kunstraum der Kunsthochschule für Medien Köln, präsentieren gemeinsam eine Einzelausstellung des niederländischen Künstlers Melvin Moti (*1977). Moti reflektiert in seinen Filmen und Installationen auf subtile und zugleich formal radikale Weise Phänomene des Sichtbaren wie des Unsichtbaren und setzt diese in Bezug zu historischen Ereignissen und Erzählungen.

„The Cosmic Community“ bringt die beiden als Diptychon konzipierten 35mm-Filme „Eigengrau“ (2011) und „Eigenlicht“ (2012) zum ersten Mal in einer Ausstellung zusammen. Beide Filmtitel beziehen sich auf physiologische Phänomene und beschreiben die Farbe, die man in völliger Dunkelheit sieht – die ohne Lichteinwirkung oder andere physikalische Stimulierung existierende Lichtempfindung eines grauen Farbtons. Beide Filme gehen von musealen Sammlungen aus: „Eigengrau“ bezieht sich auf die berühmte Kunst- und Design-Sammlung des Victoria and Albert Museum in London, „Eigenlicht“ auf die Mineralien-Sammlung des National Museum of Scotland in Edinburgh. In Eigenlicht schweben unter UV-Licht leuchtende Gesteinsbrocken durch den dunklen Raum, die eine unheimliche Schönheit ausstrahlen und jegliche Vorstellung von ihrer realen materiellen Größe unmöglich machen. In ähnlicher Weise zeigt Eigengrau dekorative kunsthandwerkliche Objekte in langsamen suggestiven Bildern von hypnotischer Brillanz, losgelöst von jeglichem Kontext und scheinbar schwerelos. Genau wie jene Schwebeteilchen auf der Oberfläche der Augen, die nur in ihrer Flüchtigkeit wahrgenommen werden können, erscheinen und verschwinden die Objekte auf den dünnen Membranen zwischen verschiedenen Welten der Wahrnehmung.

Melvin Moti hatte zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, unter anderem Einzelausstellungen in der Staatsgalerie Stuttgart, dem National Museums of Scotland (Edinburgh), der Kunsthalle Lissabon, im Mudam (Luxemburg), Wiels (Brüssel), Galleria Civica (Trento), Stedelijk Museum (Amsterdam) und MMK (Frankfurt).

Mit freundlicher Unterstützung durch die Mondriaan Stichting und die Niederländische Botschaft.

 

Abbildungen aus der Publikation „Eigenlicht“.

 

 

Kunst Film Kino

V

Manon de Boer

Two Times 4’33’’ (2008)
Think about Wood, Think about Metal (2011)

Für „Two Times 4’33’’“ lud de Boer den Brüsseler Pianisten Jean-Luc Fafchamps ein, zwei Mal hintereinander John Cages Komposition 4’33’’ in einem Aufnahmestudio vor Publikum aufzuführen. In einer einzigen Einstellung zeigt die Kamera seine Interpretation von Cages „stummer“ Komposition mit drei Akzentuierungen, die in Cages Notation an den Stellen 1’40’’, 2’23’’ und 30’’ markiert sind. Auf 35mm gefilmt, ist bei der ersten Aufführung der Ton vor Ort zu hören. Für den zweiten Teil des Films hat de Boer den Ton von Fafchamps Spiel hingegen vollständig herausgeschnitten bis auf das Klicken des Sekundenzählers bei 1’40’’, 2’23’’ und 30’’. Wie im ersten Teil bewegt sich die Kamera in einem langen Schwenk auf den Pianisten zu, filmt dann jedoch einzeln alle Mitglieder des Publikums und wandert schließlich durch die Studiotür nach draußen.
„Think about Wood, Think about Metal“ (2011) ist nach „Sylvia Kristel – Paris“ (2003) und „Resonating Surfaces“ (2005) der letzte Teil einer Trilogie filmischer Porträts über die 1970er Jahre. Die Protagonistin dieses dritten Filmes ist die Percussionistin Robyn Schulkowsky, die mit Komponisten wie John Cage, Karlheinz Stockhausen, Derek Bailey, John Zorn, Frederic Rzewski und Christian Wolff zusammenarbeitete. Ausschnitte über das Leben und Denken von Schulkowsky werden mit der Geschichte der Avantgardemusik seit den 1970er Jahren kurzgeschlossen. Rhythmus und eine nicht-lineare Zeitstruktur spielen dabei eine wichtige Rolle und verwandeln abstrakte Themen wie Erinnerung, Vergangenheit und Leben in eine filmische Erfahrung, Bild und Ton entwickeln häufig ihre eigene zeitliche Logik. So wird die Linearität der Zeit durchbrochen, Momente des Zweifelns oder Zögerns blitzen auf und die filmische Erfahrung lokalisiert sich im Hier und Jetzt des Zuschauens und insbesondere des Zuhörens.

8. Oktober 2012, Filmclub 813 im Kölnischen Kunstverein

European Kunsthalle @ Ludlow 38, New York

V

17. April–16. Mai 2010 

Lara Almarcegui widmet ihre künstlerischen Untersuchungen den mannigfaltigen Wirklichkeiten gebauter (Lebens-)Umwelt. Sie geht hierbei der Frage nach, welche Ausschweifungen, aber auch Abwesenheiten im Städtebau manifest werden. Für die Ausstellung erkundete die Künstlerin die urbane und ökologische Textur der Stadt New York. Die neue, aus zwei Teilen bestehende Arbeit erforscht derzeit ungenutzte Flächen entlang des Flushing River in Queens. Obwohl sich der Flushing River nur über eine Länge von vier Meilen erstreckt, entstanden im Rahmen seiner Erschließung zahlreiche Areale, deren aktuelle Funktion nicht definiert ist. Ein Teil dieses Ödlandes ist zwar als Wiederaufbereitungsfläche für Parks oder Wohngebiete vorgesehen, dennoch bietet der Großteil des Gebiets Möglichkeit, Prozesse des Verfalls und der Verwilderung zu beobachten.

Die in der Galerie präsentierte Publikation Guide to the Wastelands of Flushing River besteht aus Fotografien von zwölf Orten in Queens, begleitet von pointierten Beschreibungen der Geschichte, der aktuellen Situation und möglichen Zukunft dieser Plätze. Die Besucher/innen sind eingeladen, die Broschüre mitzunehmen und vor Ort die Gegend selbst zu erkunden. Eine Diaprojektion zeigt eine Reihe von Aufnahmen, die Almarcegui während ihrer Exkursionen entlang des Flushing River machte. Sie erstrecken sich von seiner Quelle über Willow Lake und Flushing Meadows Corona Park, dem Ort, an dem 1939 und 1964 die Weltausstellung stattfand, bis zur Mündung in Flushing Bay.

Darüber hinaus präsentiert die Ausstellung eine Auswahl an Materialien, die sich auf Almarceguis aktuelles, noch unabgeschlossenes Projekt Going Down Into a Tunnel Excavation  beziehen. Hierbei geht es um das Vorhaben, Führungen durch derzeit laufende oder kürzlich abgeschlossene Ausschachtungen in der Stadt zu organisieren.

Einen Kontrapunkt zu den neuen Projekten bildet eine Gruppe älterer Arbeiten. Für Construction Materials Sao Paulo City (2006) errechnete Almarcegui aus offiziellen Angaben, wie viel Material für den Bau von São Paulo, seine Gebäude (Geschäfte, Wohnungen, Institutionen und Industrieanlagen), Elendsviertel, Straßen und das U-Bahn-System verwendet wurde. Die Diaprojektion Exploring the Floor, Sala Moncada, Fundación La Caixa, Barcelone (2003) dokumentiert die Demontage und den erneuten Aufbau eines Steinbodens in einem Ausstellungsraum.

Lara Almarcegui wurde 1972 in Saragossa, Spanien, geboren und lebt in Rotterdam, Niederlande. Ihre Arbeiten waren bisher u. a. in der Liverpool Biennale, 2004, der São Paulo Biennale, 2006, der Gwangju und Taipei Biennale, 2008, und den Biennalen in Ramallah und Athen, beide 2009, zu sehen. Zu aktuellen Einzelpräsentationen zählen Ruins in the Netherlands in der Ellen de Bruijne Gallery, Amsterdam, und bei Pepe Cobo, Madrid, sowie Bilbao Wastelands bei Sala Rekalde in Bilbao, alle 2008.

Mit Lara Almarceguis erster Einzelausstellung in den USA beschließt die European Kunsthalle ihre kuratorische Zusammenarbeit mit Ludlow 38 – und betont auch in dieser Präsentation das diskursive Potenzial zeitgenössischer Kunst sowie die institutionelle Zielsetzung, neue Kunstproduktionen zu ermöglichen. 

Ludlow 38 wird gesponsert durch MINI und Friends of Goethe. Die Ausstellung wurde zusätzlich gefördert durch State Corporation for Spanish Cultural Action Abroad (SEACEX) und Directorate General For Cultural And Scientific Relations. Spanish Ministry of Foreign Affairs and Cooperation.

European Kunsthalle c/o Ebertplatz

V

„European Kunsthalle c/o Ebertplatz“: Der Titel steht programmatisch für eine neue Phase der European Kunsthalle. Sie verortet sich in Gestalt einer temporären künstlerischen Raumstruktur auf dem Kölner Ebertplatz, entworfen von der in Wien lebenden Künstlerin Dorit Margreiter, die 2009 im österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig vertreten ist.

Ausgehend von dem im Juni 2008 eröffneten Projektbüro der European Kunsthalle in der Ebertplatzpassage definiert Dorit Margreiters Raumkonzept einen konkreten wie experimentell gestaltbaren Handlungsrahmen für Präsentationen und Veranstaltungen internationaler Kunst. Kunst und Architektur werden zu Katalysatoren einer anderen Wahrnehmung und Nutzung des öffentlichen Raums und der Veränderung urbanistischer Strukturen.

Mit der schrittweisen Realisierung der modularen Raumchoreografie markiert Dorit Margreiter das Modell einer temporären Kunsthalle im urbanen Außenraum. „European Kunsthalle c/o Ebertplatz“ zielt auf einen kommunikativen Austausch zwischen Kunst und Publikum. Sie begreift sich als Handlungsraum, in dem durch und mit Kunst Öffentlichkeit entsteht – Fragestellungen, die von zentraler Bedeutung sind für eine Institution zeitgenössischer Kunst.

Bilder:
1) Dorit Margreiter, Raumkonzept für die European Kunsthalle c/o Ebertplatz, 2008, Rendering: © SHBK

2) Installation

 

Under Construction

V

Im März 2006 präsentierte die European Kunsthalle mit „Under Construction“ eine Veranstaltungsreihe, die täglich an verschiedenen kulturellen Orten in Köln stattfand. Aktuelle Fragen zu Standortpolitik, Finanzierungsmodellen, aber auch Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst und ihrer institutionellen Präsentation bildeten den thematischen Rahmen für die aufeinander abgestimmten, jedoch autonomen Programmpunkte. Einen wichtigen Baustein stellten Einzelvorträge internationaler Referenten und Referentinnen mit unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Perspektiven dar. Ergänzend dazu wurden kulturpolitische Aspekte der Gegenwart und die Entwicklung alternativer Konzepte auf Podien diskutiert, aber auch kleinere Talks boten hierfür den kommunikativen Rahmen. Ziel von „Under Construction“ war es, Vertreter unterschiedlicher Disziplinen zusammenzuführen und den Findungsprozess möglicher Parameter einer neuen europäischen Kunsthalle einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

 

1. März 2006, Schrumpfende Städte

Vortrag von Philipp Oswalt (Architekt / Urbanist, Berlin), Kunsthochschule für Medien

Während man in den internationalen Stadtdiskursen das Augenmerk ganz auf die wachsenden Megapolen und Agglomerationen richtet, bilden sich parallel weitgehend unbeachtet Zonen der Schrumpfung, in denen städtische ebenso wie ländliche Bereiche, ja ganze Landesteile von Bevölkerungsverlusten in Millionenhöhe und hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind. Aufgrund der prognostizierten rückläufigen Bevölkerungsentwicklung in zahlreichen Ländern wie Russland, dem Baltikum, Ungarn, Deutschland und Italien wird sich diese Polarisierung in den nächsten Jahrzehnten verschärfen. Schrumpfstädte konterkarieren das seit der Industriellen Revolution gewohnte Bild der „boomtown“, einer von stetigem wirtschaftlichen und demographischen Wachstum geprägten Großstadt. Schrumpfstädte provozieren ein Umdenken sowohl im Hinblick auf traditionelle Vorstellungen der europäischen Stadt als auch auf die zukünftige Entwicklung urbaner Welten.
Philipp Oswalt ist Architekt und Publizist in Berlin und Leiter des Projektes Schrumpfende Städte der Kulturstiftung des Bundes 2002 – 2005.

 

2. März 2006, Kunst ohne Ort

Gespräch mit Florian Waldvogel (Manifesta 6, Nicosia) und Barbara Hess (Kritikerin, Köln), Kap Forum

Spätestens seit den mittleren 1960er Jahren, als Carl Andre von seiner „Skulptur als Ort“ („sculpture as place“) sprach, ist der „Ort“ der Kunst eine ihrer zentralen Bezugsgrößen. Wie stellt sich die vielschichtige Wechselbeziehung zwischen der Kunst und ihren – unterschiedlich zu definierenden – Orten unter den veränderten sozialen, ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen der Gegenwart dar?

 

3. März 2006, Komplizenschaft? Zur Rolle von Kunst und Kultur in Stadtplanung und Marketing

Vortrag von Barbara Steiner (Direktorin Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig), Museum für Angewandte Kunst

Kunst und Kultur werden in Zusammenhang mit Stadtplanung und Marketing gerne als „aktivierendes Potenzial“ eingesetzt: Zum einen sollen sie als so genannte „weiche“ Standortkomponenten und als Imageproduzenten städtischen Raum als Konsum- und Erlebnisstandort attraktiv machen und Städten / Regionen Profil verschaffen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Zum andern werden kulturelle bzw. künstlerische Praktiken dazu eingesetzt, Anregungen zur Aneignung existierender Räume, Strukturen und Situationen zu bieten, kurz: „Selbstermächtigung“ zu befördern. In dem Vortrag soll nach der (durchaus ambivalenten) Rolle von Kunst und Kultur in Zusammenhang mit oben beschriebenen Prozessen gefragt werden: Diese kann durchaus affirmativ sein und in einer Komplizenschaft mit einer kapitalistischen Verwertungslogik aufgehen, wenn es um Aufwertungsstrategien, „Branding“ oder „Eventkultur“ geht. Gleichzeitig ist Kunst in der Lage, alternative Identifikationen zu fördern und (dissidente) Räume zu schaffen, in denen verschiedene Formen des Denkens und Handelns diskutiert, aber auch entwickelt, erprobt und verhandelt werden.

 

4. März 2006, Smuggling. A Curatorial Model

Vortrag von Irit Rogoff (Goldsmith College, London), Kunsthaus Lempertz

Irit Rogoff wird die Vorstellung von „Schmuggeln“ in Bezug zur kuratorischen Arbeit zum Tragen bringen. Für sie ist „Schmuggeln“ ein extrem wirksames Modell, mit dem wir die Anflüge des Wissens, des Materialien, der Sichtbarkeit und der Parteinahme nachspüren können, also all jener dynamischen Bewegungen, die für die Konzeptualisierung neuer Kulturpraktiken wesentlich sind. Sie wird in ihrem Artikel eruieren, ob ‚Schmuggeln’ als Modus operandi für Künstler, Kuratoren und Kritik dienen kann.
Irit Rogoff ist Inhaberin eines Lehrstuhls am Studiengang Visual Culture am Goldsmith College der London University und Direktorin des vom Arts and Humanities Research Founding unterstützen internationalen Studienprojektes „Cross Cultural Contemporary Arts“. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Verbindung von kritischer Theorie und zeitgenössischer Kunst mit besonderem Fokus auf Themen wie Geografie, Verortung, Performativität und kulturelle Differenz.

 

5. März 2006, Lust am Abriss

Stadtführung mit Martin Stankowski (Stadterzähler, Köln),
Treffpunkt Cäcilienstraße, zwischen VHS und Museum Schnütgen

Man kann das Loch als Metapher für die Stadtplanung Kölns begreifen – aber an den falschen Objekten! Dabei könnte, sollte, müsste manches fort in dieser Stadt. Das Loch kann die Lust am Abriss wecken. Ansichten zu einer destruktiven Stadtplanung: Was kann weg in Köln? Worauf können wir verzichten? Wer hat das alles angerichtet? Antworten bei dieser Stadtführung an die Orte potenzieller Löcher. 

Martin Stankowski ist Rheinreisender und Stadterzähler sowie Autor von „Köln – Der andere Stadtführer“, KiWi, Köln 2003 und „Tod im Rheinland“ (zusammen mit Rainer Pause) KiWi, Köln 2004. 1996 erhielt er den Köln Literatur-Preis, 1999 den Kölsch Kultur-Preis.

 

6. März 2006, Vor der Wende / Nach der Wende: das Rheinland

Podiumsdiskussion mit Sven O. Ahrens (Galerist, Köln), Chantal Blatzheim (Kunsthistorikerin, Köln), Michael Krebber (Künstler, Frankfurt/Köln), Kathrin Luz (Neumann+Luz, Köln) und Astrid Wege (Kuratorin und Publizistin, Köln), moderiert von Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Kölnischer Kunstverein

Früher war alles besser. Jetzt blicken alle nach Berlin, die Galeristen gehen weg, die Künstler gehen weg, die jungen Leute sowieso. Ist das so? Hat die ehemalige Kunststadt Köln ihr Image verloren? Und, wenn ja, warum ist das so? Der Blick auf das Rheinland vor und nach dem Hauptstadt-Hype lotet die psychologische Seite der vermeintlich getrübten Stimmung aus, vergleicht kulturelle Profile und Standortfaktoren und wagt Prognosen, wie es in Zukunft um das Rheinland bestellt sein wird. Im Wettstreit der Metropolen hat Köln schließlich nach wie vor ein wichtiges Argument: die Gegenwartskunst.

 

7. März 2006, VERrückte Dinge. Über Ethnologie, Aneignung und Kunst

Vortrag von Karl-Heinz Kohl (Professor für historische Ethnologie, Johann Wolfgang Goethe Universität und Direktor des Frobenius-Instituts, Frankfurt am Main), anschließend Gespräch mit Klaus Schneider (Rautenstrauch-Joest Museum), Rautenstrauch-Joest Museum

Die in den letzten Jahren vor allem in Frankreich geführte Debatte über den Stellenwert der „Arts Premiers“ wirft die alte Frage wieder auf, ob es die ästhetischen Eigenschaften eines Gegenstands sind, dem er seinen Kunststatus verdankt, oder ob über diesen Status allein der Ort seiner Präsentation entscheidet. Die Ausstellung solcher Gegenstände in ethnologischen Museen bedeute eine Herabwürdigung genuiner Kunst, sagen die einen. Ihre Deklaration als Kunst stelle lediglich eine eurozentrische Vereinnahmung dar, sagen die anderen.
Karl-Heinz Kohl ist Professor für Historische Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und leitet das dortige Frobenius-Institut.

 

8. März 2006, Powerless Structures

Präsentation und Gespräch mit Michael Elmgreen & Ingar Dragset (Berlin), moderiert von Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Mensa der Kunsthochschule für Medien

Seit 1995 arbeiten Michael Elmgreen & Ingar Dragset an ihrer Serie der „Powerless Structures“ aus performativen, installativen und kontextbezogenen Werken. Diese fokussieren die Frage, wie sich institutionalisierte Räume re-kontextualisieren lassen, indem sie die Wahrnehmung des Raumes verändern und die als kontingent empfundenen Grenzen zwischen privatem und öffentlichem, Kunst- und Kommerzraum verschieben. Architektonische wie soziale Strukturen werden reorganisiert, um die ihnen unterliegenden Mechanismen von Ideologie und Kontrolle sichtbar zu machen. Die De- und Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen in vorgegebenen oder institutionellen Räumen steht bei diesen „Powerless Structures“ nicht als Setzung, sondern als Resonanz auf bestehende räumliche und gesellschaftliche Situationen. Die Projekte von Elmgreen & Dragset schlagen deshalb die Möglichkeit tatsächlicher Veränderung vor: eine Modifikation sozialer Strukturen oder Alternativen zur konventionellen Präsentation von Kunst im Museum oder in der Galerie.

 

9. März 2006, Kunststadt Köln – die Galerien

Rundgang mit Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Treffpunkt: Galerie Hammelehle und Ahrens

Der internationale Ruf Kölns als Kunststadt basiert in der Vergangenheit wie heute zu einem großen Teil auf den Aktivitäten der Kölner Galerien. Der kommerzielle „White Cube“ als Repräsentationsort zeitgenössischer Kunst ist ein wichtiges Element des Ausstellungswesens und konkurrenzfähig in Bezug auf traditionelle Institutionen und deren Programme. Galerien sind nicht mehr allein Distributionsorte von Kunst, sondern etablieren eigene soziale Systeme. Ein Rundgang durch ausgewählte Galerien erkundet die Situation vor Ort, lässt Galeristen zu Wort kommen und schaut, was es an Ausstellungen gibt in den kommerziellen Kunsträumen Kölns.

 

10. März 2006, Versuchsanordnungen: Künstler als strategische Akteure

Vortrag von Franz Liebl (Professor für Strategisches Marketing an der Universität der Künste Berlin), Universität zu Köln, Hauptgebäude

Provokation – Transgression – Crossover. Das sind einige Schlagworte, mit denen der Kulturvermittlungsbetrieb versucht, das Wesen von innovativen künstlerischen Positionen zu thematisieren. Der Beitrag von Franz Liebl versucht die Frage nach der Innovation durch die so genannten „creative disciplines“ aus einem anderen Blickwinkel zu klären. Was können Bereiche außerhalb der creative disciplines von den dort vorfindbaren Strategien lernen? Was heißt es überhaupt, Künstler, Designer etc. als strategische Akteure zu begreifen? Und welches sind die Versuchsanordnungen, mit denen sie operieren und ihre Strategien zur Umsetzung bringen? In dem Vortrag werden vor allem zwei (Gefechts-)Schauplätze untersucht, auf die sich solche Strategien und die damit verbundenen Interventionen schwerpunktmäßig richten: Erstens die Marke als symbolische Schnittstelle zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit und zweitens die Aneignungsprozesse, in denen sich die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produkten bzw. Dienstleistungen manifestieren.
Franz Liebl ist Professor für Strategisches Marketing an der Universität der Künste Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind strategisches Management, Issue-Management, Business-Design, sowie Marketing unter Bedingungen gesellschaftlicher Individualisierung. Außerdem ist er Autor des Buches „Cultural Hacking: Kunst des Strategischen Handelns“, Springer, Wien / New York 2005.

 

11. März 2006, Macht und Ohnmacht des Privatsammlers

Gespräch Harald Falckenberg (Unternehmer und Sammler, Hamburg) mit Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Museum für Ostasiatische Kunst

Seit einiger Zeit schon treten private Sammler zeitgenössischer Kunst verstärkt in die Öffentlichkeit, werden von öffentlichen Museen umworben oder bauen direkt eigene Ausstellungsräume, um ihre Sammlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Damit wurde auch eine kritische Diskussion über ihren Einfluss und ihre Macht gegenüber Künstlern, Galerien und Museen ausgelöst. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Wer arbeitet wem zu? Ist die Verkettung und Vernetzung von Künstlern, Galerien und Ausstellungshäusern noch zu durchschauen? Harald Falckenberg spricht über die Auflösung traditioneller Vorgaben und zeigt aus der Sicht des Privatsammlers das vielschichtige Beziehungsnetz im Betriebssystem Kunst auf.
Harald Falckenberg ist Vorsitzender des Kunstvereins in Hamburg und Sammler zeitgenössischer Kunst. Seit 1979 ist er Geschäftsführer in einem Hamburger Familienunternehmen und wurde 1992 zum ehrenamtlichen Richter am Hamburger Verfassungsgericht.

 

12. März 2006, Making Public Buildings

Vortrag von David Adjaye (Architekt, London), Kölnischer Kunstverein

David Adjayes Gebäude reflektieren das kritische Verhältnis zwischen der Bildenden Kunst und den räumlichen Formaten, in den sie produziert und präsentiert wird. Die Konfigurationen dieses Verhältnisses reichen vom öffentlichen Museum (Denver Museum of Art) zu einer mäzenatischen Stiftung (Francesca von Habsburgs TBA-21), von der intimen Situation einer kollaborativen Produktion (wie dem Britischen Pavillon bei der Biennale Venedig mit Chris Ofili) bis zu temporären Strukturen für eine Kunstmesse (Frieze Art Fair), von privaten Galerien bis zu Ateliers (Jake Chapman, Chris Ofili, Tim Noble, Sue Webster). Mit seinen jüngsten Arbeiten wie den Idea Stores, dem Bernie Grant Centre und Stephen Lawrence Centre, versucht Adjaye die Reinterpretation von Parametern öffentlicher Kulturinstitutionen: kulturelle Barrieren, Labeling, Kontextualisierung, heterogene respektive spezifische Nutzergruppen und letztlich die ambivalente Frage nach dem öffentlichen Raum.

 

13. März 2006, Jenseits von Akademismus und Warenfetischismus

Vortrag von Roger M. Buergel (Künstlerischer Leiter der Documenta 12), Wallraf-Richartz-Museum

Einige zeitlos aktuelle Umgangsformen mit Kunst lohnen eine nähere Betrachtung. Da ist zum einen der Versuch, Kunst mit Wissen (oder mit Wissensproduktion) zu assoziieren. Da ist zum anderen eine Stilisierung des Materials, die jede Prada-Handtasche in die Tasche steckt. Beide Umgangsformen scheinen auf engste verwandt; beide machen aus Kunst etwas, das man sich zuführen kann, ohne sich darüber verändern zu müssen.
Roger M. Buergel ist künstlerischer Leiter der documenta 12 (2007). Zuvor kuratierte er z.B. „Gouvernementalität. Kunst in Auseinandersetzung mit der internationalen Hyperbourgeoisie und dem nationalen Kleinbürgertum“, Alte Kestner Gesellschaft Hannover, 2000 oder „The Subject and Power – the lyrical voice“, CHA Moskau, 2001 und ist als Autor tätig (Texte zur Kunst, springerin, u.a).

 

14. März 2006, Kulturpolitik: Europa

Podiumsdiskussion mit Adrienne Goehler (Hauptstadtkulturfonds, Berlin), Karin Heyl (Kulturkreis des BDI, Berlin), Maria Lind (IASPIS, Stockholm) und Ursula Zeller (Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart), moderiert von Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Museum für Angewandte Kunst

Jenseits des emphatischen Bekenntnisses zur Kultur bleibt die europäische Dimension von Kulturpolitik oft vage. Als Förderinstrument indessen muss sie kompensatorisch für schrumpfende Etats einstehen, Imagebildung unterstützen oder als Außenpolitik mit anderen Mitteln fungieren. Gibt es also eine europäische Kulturpolitik? Oder wird Kultur trotz anders lautender Bekenntnisse zunehmend zu einem Instrument nationaler Selbstrepräsentation? Wenn Kulturpolitik in wesentlichen Teilen Identitätspolitik ist, gilt dies für die nationale wie die supranationale Ebene. Nimmt man Europa als Horizont der Kulturpolitik und ihrer institutionellen Ausformulierung ernst, sind Veränderungen in programmatischer wie kuratorischer Praxis deshalb ein Desiderat.

 

15. März 2006, Images Unite – Issues Divide

Vortrag von Werner Sewing (Architektursoziologe, Berlin), Universität zu Köln, Hauptgebäude

Es geht nicht um die neue Macht der Bilder, nicht um den „Iconic Turn“. Images sind mehr als Bilder, sie sind die Module für Weltbilder und Lebensentwürfe. Sie sind kein neues Phänomen der Mediengesellschaft. Images sind handlungsorientierte Leitbilder, verkappte Ideologien. In Ereignissen werden sie wirksam, als Skripte für Inszenierungen. Diese sozial konstruktive und integrative Wirkung, die eine eminent politische ist, vorwiegend eine konservative, soll untersucht werden. Kritische Bildwissenschaft ist ohne politische Theorie nicht zu haben.
Werner Sewing ist Dozent für Stadtsoziologie im Weiterbildenden Studiengang Real Estate Management der Technischen Universität Berlin und unterrichtete bisher u.a. an der Universität der Künste in Berlin und der University of California in Berkeley. Darüber hinaus ist er als freier Mitarbeiter in Architektur- und Planungsbüros, Autor und Kurator sowie als ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Archplus tätig. Aktuelle Publikationen von Werner Sewing sind „Architecture:Sculpture“. Prestel Verlag, München u.a. 2004, und „Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur“. Birkhäuser Verlag, Basel u.a. 2003 (Bauwelt Fundamente 126).

 

16. März 2006, km3/h

Vortrag Andreas Spiegl (Kurator und Kunsttheoretiker, Wien), Institut Français de Cologne, Vortragssaal

Zur Diskussion steht die Frage nach einer Verzeitlichung der Stadt, die ihre Räume nach zeitlichen Intensitäten strukturiert. Wie viel Urbanität passt in eine Stunde?
Andreas Spiegl studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien und unterrichtet Medientheorie an der Akademie der bildenden Künste Wien, der er zugleich als Vizerektor für Forschung und Lehre vorsteht. 1999 gründete er gemeinsam mit Christian Teckert das „Büro für kognitiven Urbanismus“, das die Stadt aus medien-, subjekt- und raumtheoretischen Perspektiven analysiert („Büro für kognitiven Urbanismus: Prospekt“, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln / Wien 2003).

 

17. März 2006, Schreiben über Kultur. Die deutschen Feuilletons

Diskussion mit Jörg Heiser (Frieze, Süddeutsche Zeitung), Sebastian Preuss (Berliner Zeitung), Ingo Niermann (Schriftsteller und Journalist) und Thomas Wagner (FAZ), moderiert von Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Kölnischer Kunstverein, Vortragsaal

Die Kunstkritik der Moderne verstand sich als Aufklärung, Baudelaire forderte sogar eine parteiische, leidenschaftliche und politische Kritik. In Zeiten der allgemeinen Kulturalisierung der Lebenswelt ist Kritik als Erkenntnismittel hingegen eine schwindende Spezies. Der strukturelle Wandel der journalistischen Tätigkeit allgemein, die Interdependenzen von Kulturbetrieb und Medien und die Evaluation kultureller Ereignisse anhand ihrer medialen Resonanz haben das Verhältnis von Kultur und deren publizierter Kritik nachhaltig verändert. Die Ökonomisierung des Kulturbetriebs bedeutet jedoch nicht zwangsläufig die Affirmation seiner Produkte. Das engagierte Schreiben über Kultur könnte der Tendenz zur Kulturalisierung vielmehr eine Form von Widerstand entgegensetzen, die auch dem institutionellen Kulturbetrieb neue Freiräume öffnet.

 

18. März 2006, Kunststadt Düsseldorf – eine Ortsbesichtigung

Rundgang mit Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Treffpunkt: Kunsthalle Düsseldorf

Städtische Imagepolitik ist ein wichtiger Faktor im Wettstreit der Metropolen. Die Stadt Düsseldorf hat sich öffentlichkeitswirksam den Titel „Kunststadt“ verliehen und startet mit der „Quadriennale06“ ein ambitioniertes Projekt, dieses Label imagefördernd nach außen zu tragen. Mit Ausstellungen in allen großen Düsseldorfer Museen soll die Stadt ein Jahr lang in den Fokus der internationalen Kunstwelt rücken. Als städtisches Gesamtbild inszeniert, werden die verschiedenen Kulturinstitutionen dabei zu Bausteinen einer Kampagne, die ein homogenes Bild der Stadt als exponierter Ort bildender Kunst propagiert. Wir schauen uns ausgewählte Ausstellungen in Düsseldorfer Institutionen an und sprechen über das „Branding“ ihrer Stadt.

 

18. März, Art Is Not For Ordinary People

Präsentation von Belinda Hak (Kunstpädagogin, Rotterdam), Büro der European Kunsthalle

Die Kunstvermittlung findet jenseits einer bestimmten Alters- oder Zielgruppe statt; die Vermittlung adressiert alle, die noch keine ausgewiesenen Experten in Sachen moderner Kunst sind. Wissenslücken, Wahrnehmungsbedürfnisse und Erfahrungslust haben nichts mit Alter und Hintergrund zu tun Teenager, Studenten, Erwachsene, und Migranten sind keine homogenen Gruppen. Anstatt Zielgruppen zu definieren, müssen Begriffe erfunden und eingeführt werden, die sich mit dem Zweck der Erziehungsmethoden, Veranstaltungen, Programme und Mittel beschäftigen. Durch Kunstvermittlung können Kunstinstitutionen Menschen auf eine lebendige Weise zur Teilnahme aufmuntern, anstatt nur einen so genannten „Aufklärungsauftrag“ zu verfolgen.
Belinda Hak ist seit 2001 Leiterin für Kunstvermittlung im Witte de With Zentrum für Gegenwartskunst in Rotterdam. Als Kunstvermittlerin veranstaltet sie auch Workshops für die Vermittlungsabteilungen von Kunstmuseen und arbeitet als Coach für (junge) Profis im Bereich Kunsterziehung.

 

19. März 2006, Ausstellungskünstler vs. Marktkünstler

Diskussion mit Monica Bonvicini (Berlin), Olaf Nicolai (Berlin) und Franz Ackermann (Berlin), moderiert von Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Café Central

Viele jener momentan auf dem Kunstmarkt sehr erfolgreichen Künstler tauchen im institutionellen Ausstellungsbetrieb kaum auf. Umgekehrt gibt es immer mehr Künstler, die ortsspezifisch arbeiten oder deren Werke sich den Anforderungen des Kunstmarktes verweigern. Driften Kunstmarkt und Kunst ausstellende Institutionen seit einiger Zeit auseinander? Und ist erfolgreich, wer viel verkauft oder wer viel ausgestellt wird? Was macht den Erfolg der jungen Shooting Stars aus? Und wie verhält sich der institutionelle Kunstbetrieb zu diesem Phänomen?

 

20. März 2006, Privates Geld / Öffentliches Geld

Diskussion mit Eugen Blume (Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin), Markus Heinzelmann (Siemens Arts Program, München), Thomas Michelon (Französische Botschaft, Den Haag), Silke Schuster-Müller (Leiterin Kultur und Wissenschaftsförderung, DekaBank) und Bernhart Schwenk (Pinakothek der Moderne, München), moderiert von Nicolaus Schafhausen (European Kunsthalle), Kap Forum

Mit ihrem Sponsoring unterstreichen Unternehmen den Stellenwert, den sie Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft zurechnen. Kunstförderung ist Teil der Kommunikation und stärkt das unternehmerische Profil. Entlang der Schnittstelle von Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft entwickeln die großen Unternehmen deshalb eigene Kunstförderungsprogramme, die in Zeiten knapper werdender öffentlichen Subventionen für den Ausstellungsbetrieb substanziell geworden sind. Wie sehen Kooperationsmodelle zwischen Wirtschaft und Kultur aus? Was erwarten Sponsoren von ihrem Engagement? Lässt sich die institutionelle und programmatische Autonomie aufrecht erhalten, wenn die öffentliche Hand sich sukzessive zurückzieht? Oder liegt die Zukunft der Institutionen vielleicht gar nicht mehr im öffentlichem, sondern im korporativen Geld?

 

21. März 2006, Modell Kunsthalle

Podiumsdiskussion mit Ulrike Groos (Kunsthalle Düsseldorf), Max Hollein, (Schirn Kunsthalle, Liebighaus und Städelmuseum, Frankfurt am Main), Dirk Luckow (Kunsthalle zu Kiel) und Gerald Matt (Kunsthalle Wien), moderiert von Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Rautenstrauch-Joest Museum, Vortragssaal

Eine Kunsthalle ist eine Institution bildender Kunst, die im Gegensatz zum Museum meist keine eigene Sammlung besitzt und im Gegensatz zu Kunstvereinen nicht auf Mitgliedschaft basiert. Über diese Definition hinaus besitzen die zahlreichen deutschen Kunsthallen jedoch sehr unterschiedliche Profile, die auch auf ihrer Finanzierung, ihrer Verortung in der kulturellen Textur der Stadt, ihrem Verhältnis zu anderen Institutionen bildender Kunst und dem kommunikativen Transfer zwischen Kunst und Publikum gründen. Was also macht den Erfolg des institutionellen Modells Kunsthalle aus? Ulrike Groos, Max Hollein, Dirk Luckow und Gerald Matt diskutieren Veränderungen des institutionellen Profils sowie Chancen und Herausforderungen heutiger Kunsthallen in Deutschland und Österreich.

 

22. März 2006, Europa / Euregio

Diskussion mit Charles Esche (Van Abbe Museum, Eindhoven), Bart de Baere (Museum voor Hedendaagse Kunst, Antwerpen), moderiert von Vanessa Joan Müller (European Kunsthalle), Crowne Plaza Cologne, „Der Club“

Nach dem Wegfall der Binnengrenzen im Jahr 1992 innerhalb der damaligen europäischen Gemeinschaft haben sich Staaten übergreifende Regionen herausgebildet. Die Stadt Köln prägt traditionell der Bezug zu den Beneluxländern. Welches kulturelle Potenzial jedoch liegt in dieser Nähe? Und was bedeutet über die regionale Nähe hinaus Europa als Staatengebilde in Bezug auf die Ausrichtung einer Kunstinstitution und ihres Programms? Internationalität auf der einen, die Anbindung an das Lokale und seine Spezifika auf der anderen Seite scheinen die Herausforderungen der Museen und Kunstinstitutionen unserer Zeit.

 

23. März 2006, Spaces of Production

Präsentation und Diskussion des Forschungsprojekts der European Kunsthalle mit Shumon Basar (London), Ole Bouman (Amsterdam), und Matthias Görlich, Nikolaus Hirsch, Phil Misselwitz, Markus Miessen (Spaces of Production, European Kunsthalle), Museum für Angewandte Kunst, Vortragssaal

Das in der Gründungsphase der European Kunsthalle integrierte Projekt „Spaces of Production“ untersucht die räumlichen Bedingungen und Potenziale in Köln und anderen städtischen Situationen in Europa. Die Recherche zeigt, wie sich viele zeitgenössische Institutionen in Europa traditionellen Kategorisierungen von Kulturinstitutionen bewusst entziehen bzw. diese gezielt weiter entwickeln, unterlaufen, neu besetzten oder neu kombinieren. Architektur und Urbanismus nehmen hierbei zwangsläufig eine kritische, aber zunehmend widersprüchliche Rolle ein: Einerseits werden Orte der Kunst zu strategischen Instrumenten von Stadtplanung und -Marketing, die ganze Regionen und Städte reaktivieren sollen („Bilbao-Effekt“) und delegieren eine dominante, ja autoritäre Rolle an die Architektur. Dagegen positionieren sich temporäre, in der Tradition des Situationismus stehende Strategien, die sich bestehende Territorien und räumliche Leerstellen in der Stadt aneignen, dabei jedoch Gefahr laufen, einer Festivalisierung unter den Prämissen der neoliberalen Deregulierung in die Falle zu gehen. Dieses Dilemma zwischen Stabilität und Instabilität ist Ausgangspunkt für eine Debatte über gegenwärtige räumliche Transformationstendenzen europäischer Kulturinstitutionen, sowie mögliche räumliche Modelle für die European Kunsthalle Köln.

 

24. März 2006, Imaginary Economics

Vortrag von Olav Velthuis (Amsterdam), kjubh Kunstverein

Die Zeiten, in denen Kunst und Wirtschaft einander ausschlossen, scheinen längst vorbei. Noch immer steigt die Zahl jener zeitgenössischen Künstler, die Faktoren wie Geld, Markt oder Konsum sowie die Produktion und Destruktion ökonomischer Werte untersuchen. Wie könnte man aus dieser neuen Form der Volkswirtschaft Sinn entstehen lassen?
Olav Velthuis ist Redakteur der holländischen Tageszeitung „de Volkskrant“. Er ist Autor von „Imaginary Economics“ (NAi Publishers, 2005) und „Talking Prices. Symbolic Meanings of Prices on the Market for Contemporary Art“ (Princeton University Press, 2005). Velthuis hat Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Amsterdam studiert und in Wirtschaftssoziologie an der Erasmus Universität Rotterdam und der Princeton University promoviert. Vor seiner journalistischen Tätigkeit war er Assistenzprofessor an der Universität Konstanz und Post-Doctorial Fellow am Institute for Social and Economic Research and Policy (ISERP) der Columbia University, New York.

 

26. März 2006, Factories in the Snow: Collapses within Post-Consensus Culture

Präsentation von Liam Gillick (London / New York), Café Central

Ein kritischer Kommentar zum Potential radikaler Diskurse in einem homogenisierten Überbau. Der neue Kampf zwischen historischem Determinismus und kollektiven Handlungsmöglichkeiten.
Liam Gillick besuchte das Goldsmiths College in London von 1984 bis 1987. Seit 1997 unterrichtet an der  Columbia University in New York. Beispiele seiner zahlreichen Einzelausstellungen sind: Literally, The Museum of Modern Art, New York 2003; communes, bar and greenrooms, The Powerplant Contemporary Art Gallery, Toronto 2003, Exterior Days, Casey Kaplan, New York 2003; A short text on the possibility of creating an economy of equivalence, Palais de Tokyo, Paris 2005. Außerdem nahm er an der 50. Biennale von Venedig, 2003 sowie der documenta X, 1997 teil. Parallel zu seinen künstlerischen Arbeiten veröffentlichte Liam Gillick seit 1995 verschiedene Bücher, wie zuletzt Underground (Fragments of Future Histories), (Les maitres des formes, Brussels und les presses du reel, Dijon 2004) und schreibt für diverse Kunstmagazine wie Parkett, Frieze, Art Monthly und Metropolis M.

 

27. März 2006, Die Krise des Publikums

Gespräch mit Elisabeth Schweeger (Intendantin schauspielfrankfurt) und Heiner Goebbels (Komponist, Professor am Institut für Angewandte Theaterstudien, Giessen/Frankfurt am Main), moderiert von Nikolaus Hirsch (Spaces of Production, European Kunsthalle), Kunsthaus Lempertz

Das Theater ist aufs Engste mit der Entstehung einer bürgerlichen städtischen Öffentlichkeit verknüpft. Noch deutlicher als in der Typologien der bildenden Kunst ist das städtische Theater als künstlerische Form und als konkreter urbaner Ort an die Repräsentationsmodelle eines bürgerlichen Publikums gebunden gewesen. Die heute vielfach beklagte Krise des Theaters ist daher auch die Krise eines Publikums, das sich im Zuge der sozialen und ökonomischen Deregulierung des vergangenen Jahrzehnts verändert hat. Zur Debatte steht die Frage, wie das Theater und andere Kunstinstitutionen auf ein zunehmend heterogenes und ausdifferenziertes Publikum reagieren.  Das „feste Haus“ und die Stabilität seiner Strukturen rückt dabei fast zwangsläufig ins Zentrum der Diskussion: Ist das „feste Haus“ ein Modell, das in Zeiten der ökonomischen und sozialen Deregulierung einen geschützten Raum bietet und damit ein notwendiges Gegenmodell darstellt? Oder muss das zukünftige Theater seine starren Strukturen auflösen und die Entwicklung flexibler Modelle vorantreiben, die letztlich auch den veränderten künstlerischen Strategien und Produktionen entsprechen?

 

28. März 2006, Curatorial Criticality

Vortrag von Beatrice von Bismarck (Professorin für Kunstgeschichte, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig), Kölnischer Kunstverein, Vortragsaal

Der Vortrag fragt nach den Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten einer kuratorischen Praxis, die sich, angesichts des derzeitigen „Kuratoren-Hypes“ und Starkults, nicht ausschließlich als Begleiterscheinung des immens gewachsenen Ausstellungsbetriebs im Umfeld heutiger Event-Kultur verstehen will.
Beatrice von Bismarck ist seit 1999 Professorin für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Davor war sie als Mitbegründerin und -leiterin des Kunstraum der Universität Lüneburg und des /D/O/C/K-Projektbereich der HGB tätig. Ihre aktuellsten Publikationen sind: „Grenzbespielungen. Visuelle Politik in der Übergangszone“, Köln 2005; „Globalisierung/Hierarchisierung. Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte“, hg. mit Irene Below, Marburg 2005 und „beyond education. Kunst, Ausbildung, Arbeit und Ökonomie“, hg. mit Alexander Koch, Frankfurt am Main 2005.

 

29. März 2006, Cultural Economies and Retrenchment

Vortrag von Anthony Davies (London), Kunsthochschule für Medien, Aula

In der Folge der Traumata, die das neue Jahrhundert einläuteten (das Platzen der dot.com-Blase, 9/11, der „War on Terror“, der Zusammenbruch von Enron und Worldcom), lässt sich eine Abkehr von den Interdependenzen beobachten, welche die New Economy der späten neunziger Jahre kennzeichnete. Angesichts der wieder erstarkten Zuversicht der Wirtschaft – zum Teil beflügelt vom rasanten wirtschaftlichen Wachstum in China und Indien – untersucht diese Präsentation einige der Grundtendenzen der Zeit von 2001 bis 2005. Sie wird sich insbesondere mit den vielen  Prozessen beschäftigen, in denen Kürzungen und Rückzug des Staates Grundannahmen einer vernetzten Gesellschaft unterminierten und ins Gegenteil verkehrten – eine introspektive, abgeschottete und reaktionäre Kultur. Im Falle Großbritanniens lässt sich dies an den vielen Entwicklungen aufzeigen, bei denen Privatisierungsmaßnahmen im kulturellen Sektor (etwa dem Fusionsrausch der Kooperationen und „Partnerships“) den Debatten um Kernkompetenzen und Vermarktungsstrategien Tür und Tor öffneten; angetrieben von einem allgemeinen Kaufrausch auf der Konsumentenseite, ist das Wiedererstarken des Kunstmarktes auch an Phänomenen wie den „Kursen für Kritiker“ und einer allgemeinen „Rückkehr zum Grundsätzlichen“ zu erkennen.
Der Autor Anthony Davies lebt in London. Er veröffentlichte Artikel über Kunst und Ökonomie in verschiedenen Zeitschriften, darunter Texte zur Kunst, Metropolis M, Art Monthly und Mute.

 

30. März 2006, Public Spheres

Diskussion mit Gerald Raunig (Philosoph und Kunsttheoretiker, Wien) und Simon Sheikh (Kunstkritiker und Kurator, Berlin/Kopenhagen), moderiert von Bettina Steinbrügge (Halle für Kunst, Lüneburg), Museum für Ostasiatische Kunst, Vortragssaal

Nach einem Begriffsboom in den 1980er und 1990er Jahren scheint das Konzept der Öffentlichkeit in diskursiven und politischen Zusammenhängen einerseits zunehmend kritisch beleuchtet zu werden, andererseits als Referenzpunkt emanzipatorischer Praxen aus der Mode geraten. Im Kunstfeld hat sich zugleich ein zunehmender Trend der Adressierung von Teilöffentlichkeiten / communities verbreitet, in der das einst emanzipatorisch verstandene Konzept der „Kultur für alle“ in einen neoliberalen Kontext von Kundenorientierung und Publikumsfetischismus überzugehen droht. Das Terrain der „öffentlichen“ Sphäre ist als gleichermaßen lokalisierbares wie imaginäres auszumessen. Die wohl geordnete bürgerliche Öffentlichkeit ist ebenso sehr wie andere Formationen ein Fragment, und die Frage ist in der Tat, ob sie jemals überhaupt als irgendetwas anderes denn als Projektion, als Ideal existiert hat. Der Begriff des Öffentlichen kann sich beziehen auf den Staat, auf allgemeine Zugänglichkeit, auf Belange, die von allgemeinem Interesse sind und auf Fragen des gemeinsamen Guten. Die Bedeutungen von öffentlich und privat sind somit stark kontextabhängig und ambivalente Einstellungen zu diesen Begriffen mehr als wahrscheinlich. Das Interesse an der Aufrechterhaltung der bürgerlichen öffentlichen Sphäre und ihrer Institutionen wie dem Museum und dem Ausstellungsraum geht derzeit deutlich zurück, und zwar von links wie von rechts. Demnach sind die gewandelten und sich wandelnden Möglichkeiten zu diskutieren, die der Kunstproduktion als Werkzeugkasten der Kommunikation und Repräsentationspolitik im Bereich des Öffentlichen zukommen. Es muss heute um die Rekonfiguration des Begriffs von Öffentlichkeit gehen, um die Erschließung von neuen Konzeptionen „der Öffentlichkeit“ als relational, artikulatorisch und kommunikativ.

 

31. März 2006, Kulturpolitik der Institutionen

Vortrag von Franciska Zólyom (Institute for Contemporary Art, Dunaújváros), kjubh Kunstverein

Welche Rolle spielen Institutionen der zeitgenössischen Kunst in der kritischen Auseinandersetzung mit öffentlichen und privaten Förderungsrichtlinien? Neben der viel besprochenen Frage der Kunstvermittlung soll die mögliche Rolle von Kunstinstitutionen als Katalysatoren der kulturellen und sozialen Partizipation – im Sinne der kulturellen Demokratie (cultural democracy) – benannt werden. Kunstinstitutionen werden vor dem Hintergrund zweier Fragestellungen untersucht: Erstens, wie gegenwärtige Kulturadministrationen funktionieren und durch welche öffentlichen und privaten Interessen Kultur reguliert wird beziehungsweise wie über Kulturinstitutionen verfügt wird. Auf der anderen Seite gilt es zu fragen, in welcher Weise zeitgenössische Konzepte von Mitbestimmung (wie beispielsweise Foucaults Konzept der „gouvernementalité“) durch Kultur ausgeformt werden. Können Kunstinstitutionen im skizzierten Rahmen eine klärende oder gar produktive Leistung erbringen? Lassen sich daraus neue institutionelle Modelle und Handlungsstrategien ableiten?
Seit 2005 ist Franciska Zólyom Direktorin des Institute of Contemporary Art in Dunaújváros / Ungarn. Davor war sie bis 2004 Mitarbeiterin im Hamburger Bahnhhof – Museum für Gegenwart, Berlin und von 1997 bis 1999 Kuratorin am Museum Ludwig – Museum für zeitgenössische Kunst in Budapest.

Die Frage des Tages

V

Entspricht eine Kunsthalle noch den heutigen Anforderungen und Bedürfnissen zeitgenössischer Kunstvermittlung und der Präsentation von Kunst? Statt eine einfachen Antwort zu suchen, fächerten wir die Fragestellung in viele Fragen auf und richteten diese an internationale Künstler/innen, Kurator/innen, Theoretiker/innen etc. Im Rahmen der für die Gründungsphase der European Kunsthalle charakteristischen konzeptionellen Vernetzung und Dezentralisierung entstand so zwischen 2005 und 2007 das Projekt „Die Frage des Tages“.

 

Welche Gründe könnte es für den Wunsch der Bürger/innen nach einer physischen, greifbaren Kunsthalle geben?
Ilka Becker, Kunstwissenschaftlerin, Köln

Greifbar zu sein wäre für mich zunächst gar nicht die produktive Frage: greifen, zugreifen und begreifen klingt ein wenig nach vorgegebener, konsumierbarer Sinnhaftigkeit, die durch eine institutionelle Form garantiert werden könnte und in der man dann bequem Platz nimmt. Eine Kunsthalle, die wie die European Kunsthalle ein dezentrales Konzept verfolgt, sollte aber eher eine Bühne sein, auf der man sich dazu entscheidet, etwas Ungreifbares sichtbar zu machen (das heißt zu produzieren), das in der eigenen Position aufklafft – als Rezipient/in und gleichzeitig Produzent/in von Zeichen, sozialen Codes, Material und Situation innerhalb des Systems Kunst. Die künstlerische, kuratorische, theoretische und kritische Arbeit, die sich in einem solchen Feld durchführen lässt, ist doch vor allem dann spannend, wenn sie weniger der Selbstvergewisserung bürgerlicher Subjektivität dient (nach deren Kriterien Kunstrezeption heutzutage ohnehin nicht mehr funktioniert), als dass sich mit ihr im besten Fall eine Art strittiger Produktionsgemeinschaft herausbildet, an der unterschiedliche Akteure teilhaben können. Ein konkreter Ort kann dafür ein sehr wichtiger Faktor sein.

 

Wie wichtig ist funktionale Architektur für das Kuratieren?
Adam Budak, Kurator Kunsthaus Graz

Zweifellos spielt funktionale Architektur eine signifikante Rolle beim Kursieren von Ausstellungen. Sie tut es vor allem in praktischer Hinsicht – bei der Organisation des Raumes, der technischen Erschließung der Ausstellungen, als Leitlinie ihrer Argumentation usw. Ich bin in jedem Fall an Situationen interessiert, in denen die Funktion der Architektur darin besteht, Ausstellungsinszenierungen und kuratorische Sichtweisen herauszufordern. Seit über zwei Jahren arbeite ich nun in einem (bioamorphen) Ausstellungshaus, dessen architektonisches Angebot vor allem auf Dysfunktionalität oder einer gewissen Groteske traditioneller Funktionalität basiert. Hier verstehe ich diese „Schwierigkeit“ einerseits als Herausforderung (für alle Beteiligten: den Künstler/innen mit einem Kunstwerk, den Kurator/innen mit einem Konzept und das Publikum mit Rezeptionsqualitäten), andererseits als Anregung (zu ortsspezifischer Arbeit und zu einer durch Raum, der zur Disposition steht, beeinflusste Programmgestaltung). Indem sie das Kunstwerk permanent neu definiert und dich verstärkt für räumliche Bedingungen sensibilisiert, hält dich eine solche dysfunktionale Architektur stets wachsam. Mit wem oder was auch immer sie antrifft, geht sie eine spannende Partnerschaft ein, erneuert deine Rezeptionshaltungen und verbündet sich so mit dir, eine besondere kollektive Identität zu inszenieren. Dysfunktionalität in diesem Sinne agiert als produktive und bereichernde Unstimmigkeit. Wie alle dominanten Partner beschwert sie dein Leben – das ist wahr –, aber letztlich bringt sie viel Freude und kreative Genugtuung.

 

Wie definiert sich eine Kunstinstitution in Bezug auf ihr Publikum?
Chris Dercon, Direktor Haus der Kunst, München

Es gibt nicht einfach ein „Publikum“. Die Idee des „Publikums“ existiert nicht mehr. Sie war übrigens eine Erfindung des 19. Jahrhunderts – so wie die Idee des Publikums auch ihren allerersten großen Auftritt in der Malerei des 19. Jahrhunderts hatte. Heute sind wir mit vielen verschiedenen Arten des Publikums konfrontiert – beispielsweise mit vielen verschiedenen Erwartungen. In einer holländischen Zeitung habe ich einmal gesagt: „Traue dem Publikum nicht“ – eine Formulierung, für die ich auch Jahre später noch teuer bezahlen musste. Was ich meinte war, dass das Publikum sich seiner selbst nicht mehr sicher ist: Kann es seine (Un-)Sicherheit auf uns projizieren und andersherum? Das würde bedeuten, dass wir uns konstant selbst fragen müssten: Welches Publikum fühlt sich angesprochen, wenn wir welche Maßnahmen wie ausführen? In der Tat müssen wir unsere Zielgruppe jedes Mal neu aufbauen. Das Publikum ist daher keine gegebenes – es muss erobert werden. Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Es scheint auch eine generelle Verwirrung darüber zu geben, was „öffentlich“ und was „privat“ ist und worin der Unterschied zwischen „öffentlichen“ und „privaten“ kulturellen Angelegenheiten und Anliegen besteht. Kommerzialisierung im Feld der Kultur beispielsweise stellt sich selbst schnell als eine Art „öffentliche Sphäre“ dar: Die Konturen des öffentlichen Raums sind bereits restlos aufgeweicht. Und unsere einzige, von unseren Auftraggebern und Trägereinrichtungen vorgeschlagene Waffe zur Gegenwehr scheint traurigerweise die Veröffentlichung hoher Besucherzahlen zu sein. Aber Besucherzahlen sind etwas sehr anderes als Besucher-Argumente. Oder aber nicht?

 

Inwieweit hat das akademische Denken Platz im musealen Ausstellungsbetrieb?
Charles Esche, Direktor Van Abbemuseum, Eindhoven

Ein Museum ist kein leeres Gefäß, das es mit Kunst zu füllen gilt. Stattdessen müssen wir seine Identität, seinen Möglichkeitsraum, seine Ideologie thematisieren – die alle anwesend sind, egal ob wir uns dafür entscheiden, sie wahrzunehmen oder nicht. Um diese Begriffe zu aktivieren und nicht einfach überkommene Definitionen zu akzeptieren, sind Denkprozesse notwendig. Wenn also „akademischen Denken“ Reflexion, Befragung und Artikulation der Praktiken eines Museums meint, dann müssen wir ihm viel Zeit und Raum widmen. Wir müssen Systeme entwickeln, in denen Museumsarbeiter/innen die Möglichkeit haben, neue Betrachtungsweisen von Kunst und ihren Beziehungen zur Gesellschaft zu erlernen. Wir müssen neue Modelle der öffentlichen Präsentation und Produktion entwickeln, die selbstreflexive Mechanismen und Gelegenheiten zum kritischen Denken umfassen. Wir müssen letztlich das Museum zu einem Ort des Stellens schwieriger Fragen und des Formulierens komplexer Antworten machen. Aber natürlich hat „akademisches Denken“ auch eine andere Bedeutung, die des unreflektierten Kopierens bestehender Modelle. Dem sollte kein Platz innerhalb der Praxis von Museen zeitgenössischer Kunst eingeräumt werden.

 

Kann die Veränderung der gesellschaftlichen Trägerschaften von Kunstinstutionen eine Transformation der Institution von innen heraus bewirken?
Anselm Franke, Direktor Extra City, Antwerpen

Ich denke, das geschieht so oder so. Der Begriff der Bildung oder auch der Öffentlichkeit, auch die Kulturtechniken der Hegemonie verwandeln sich – und die Kunstinstitution rückt in die Nähe des Tourismus und des Marketings einerseits oder sie muss in Zukunft zu einem „Center for Creativity“ werden, in dem die gesellschaftliche Produktivkraft „Kreativität“ entwickelt, trainiert oder eben im Zweifelsfall auch therapeutisch „behandelt“ wird. Die überkommene Trägerschicht der Kulturinstitution kann diese nicht mehr langfristig legitimieren. Ihr Begriff der öffentlichen Sphäre ist korrumpiert und sich hat zunehmend weniger Möglichkeiten der politischen Einflussnahme. Die neue Trägerschicht aber behandelt diese weitgehend wie Luxus-Erweiterungen von Kunstmessen – und das bleibt ja auch der Kulturpolitik nicht verborgen, so dass dringend eine grundlegende Debatte über das Verhältnis öffentlicher Institutionen zu einem spekulativen Markt ansteht. Das gilt natürlich nicht nur für die für das Experiment und die Innovation zuständigen Institutionen ohne Sammlung, sondern auch für Museen, die immerhin noch das Argument des kulturellen Gedächtnisses ins Feld führen können.

 

Sind öffentlich finanzierte Institutionen für Gegenwartskunst nur noch Statthalter für den privaten Kunstmarkt?
Susanne Gaensheimer, Kuratorin, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Nein, keineswegs, und es darf auch nie so weit kommen. Selbstverständlich ist die Gefahr sehr groß, dass aufgrund der permanenten Reduktion öffentlicher Gelder die Institutionen in eine finanzielle Abhängigkeit von kommerziellen Galerien und privaten Sammlern geraten. Kunstproduktion und Ausstellungen werden immer kostspieliger, die Preise auch der ganz jungen Kunst steigen in irrationale Höhen, und gleichzeitig sind die Museen und öffentlichen Institutionen immer mehr den staatlichen und städtischen Konsolidierungsmaßnahmen ausgeliefert. Es ist daher dringend notwendig, neue Wege einer produktiven Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen und privatem Kunstmarkt zu entwickeln. Viele Galerie beispielsweise sind sich bewusst, dass sie von Museumsausstellungen profitieren und daher auch daran interessiert, sich an der Produktion von Kunstwerken und Publikationen finanziell zu beteiligen. Und immer mehr private Sammler möchten ihre Werke in öffentlichen Institutionen unterbringen, was zu sehr fruchtbaren Kooperationen führen kann – wobei dies nur dann wirklich sinnvoll ist, wenn der Sammler bereit ist, seine Werke als verbindliche Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Doch ist es gerade bei solchen Überschneidungen die vorderste Aufgabe des Museums, inhaltlich und programmatisch autonom und unkorrumpierbar zu bleiben und seine sammlungsspezifischen Konzepte unbeeinflusst von wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Es ist dringend notwendig, dass Staat und Kommunen endlich die Notwendigkeit eines interessenfreien, öffentlichen Raums für die Produktion und Rezeption von Kunst erkennen und diesen durch eine entsprechende Finanzierung gewährleisten.

 

Sind Kunsthalle heute noch zeitgemäß?
Liam Gillick, Künstler

Nein, eine Kunsthalle ist kein zeitgenössisches Modell. Es besteht aber in jedem Fall die Möglichkeit, den Gebrauch des Wortes in Bezug auf ein revidierten Gefüge fortzusetzen, und sei es nur, um den Verlust des Potentials eines bedeutsamen öffentlichen Raumes – eines frei flottierenden Signifikanten mit einer bestimmten historischen Bedeutung – zu vermeiden. Auf jeden Fall zu vermeiden ist die bloße Aufrechterhaltung eines Wortes in Beziehung zu einem Gefüge, wenn es in Hinblick auf die Beziehung zwischen Namen und Gefüge nur als parodistisch oder paradox verstanden werden kann. Eine Kunsthalle, die eine machtvolle Rolle im kulturellen Bereich vermeidet, sollte in der Tat einen anderen Namen tragen. Wenn man eine spezifische, historisch determinierte Bedeutung beziehungsweise einen Raum innerhalb der Kultur einnehmen möchte, sollte man es hingegen weiterhin Kunsthalle nennen. Wenn man neu anfangen möchte, sollte man den sozialen / historischen / politischen Raum einer Kunsthalle besetzen, ohne dies als Kunsthalle zu bezeichnen. Gleichzeitig sollte man aber auch – mit gesetzlichen oder anderen Mitteln – sicherstellen, dass es keine andere Institution in der Stadt gibt, die sich Kunsthalle nennen kann. Denn wenn man etwas ersetzen will, darf man anderen nicht gestatten, den intellektuellen Raum, den man transzendiert, einzunehmen.

 

Brauchen wir noch statische Museumsgebäude für die Präsentation von Kunst angesichts partizipatorischer Ansätze, beweglicher Strukturen und konzeptueller Arbeiten?
Krist Gruijthuijsen, freier Kurator

Nein, das brauchen wir sicherlich nicht. Auch wenn ich sehr für das architektonische Element institutioneller Rahmenbedingungen wie das des Museums bin und große Bedeutung darin sehe. Aber ich denke nicht, dass wir jetzt noch ein neues Gebäude voll mit „totem“ Material in den Ausstellungsräumen brauchen. Die European Kunsthalle könnte ein großartiges Beispiel für das gewandelte Verständnis einer Kunsthalle sein, das die Rahmenbedingungen der (Re-)Präsentation von Kunst diskutiert. In diesem Sinne könnte sie besser als Gedanke denn als etwas Konkretes funktionieren. Ein alles überschauender „think-tank“, der nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist.

 

Haben Formen der Institutionalisierung einen limitierenden Effekt auf unabhängige Projekte?
Vit Havránek, Projektleiter tranzit.cz, Prag

Ich verstehe ein „unabhängiges Projekt“ als eine Aktivität, bei der finanzielle oder personelle Ressourcen von innen her durch die Beteiligten und ohne große Unterstützung vom Staat, der Stadt oder einer anderen Körperschaft von „außen“ definiert werden. Eine solche Aktivität ist das Resultat von bürgerlichem Enthusiasmus. Ich stimme Hakim Bey (t.a.z.) zu, dass eine solche Initiative ihre Unabhängigkeit verliert und beginnt in Beziehung zum so genannten allgemeinen Interesse zu agieren, sobald sie offiziell wahrgenommen und anerkannt wird. Darum rät Bey jeder autonomen Zone, temporär zu bleiben. Bestimmte „unabhängige Initiativen“ aber entstehen bereits mit der Hoffnung auf offizielle Anerkennung beziehungsweise Institutionalisierung. Ich denke, dass das auch das Interessanteste an diesem Modell ist: die Beziehung zwischen den so genannten „unabhängigen“ Initiativen und den offizielle institutionellen Strukturen, da sie die Basis aller unabhängiger Projekte ist. Das Bewusstsein für die Institution als eine Art negative Selbstdefinition ist heute eine der wichtigsten Antriebskräfte für Unabhängigkeit. Sehr gute Beispiele dafür können in der Kunst selbst gefunden werden – momentan bei der Konzeptkunst oder Land Art: In bestimmten Fällen dachten KünstlerInnen, dass ihr Programm und die Bedeutung, die sie transportieren, Veränderungen in den Institutionen bewirken könnten. Davon sind aber nur diese interessant, die ihre Strategien angepasst haben und die Institutionen selbst als einen der Gegenstände ihrer Auseinandersetzung thematisiert haben.

 

Was sind die Orte der zeitgenössischen Kunst?
Jörg Heiser, Autor und Co-Chefredakteur Frieze Magazine

Kunsthallen sind so zeitgemäß wie die Leute, die sie betreiben. Nicht jede, aber fast jede vorgefundene Struktur – erfüllt sie architektonische und urbanistische Mindestanforderungen wie halbwegs zentrale Lage und räumliche Adaptierbarkeit für die Anforderungen zeitgenössischer Kunst – kann zu einem guten Ort zeitgenössischer Produktion und Vermittlung werden, wenn Ideen und ästhetische Erfahrung im Vordergrund stehen, nicht Kulturbürokratie und ökonomische Standortpolitik. Dazu trägt bei, wenn ein relativ kleines Team relativ autonom arbeiten kann und zugleich nicht von lediglich einer Finanzierungs- und Administrationsinstanz kontrolliert wird, sondern selbst die ökonomischen und politischen Bedingungen zumindest mit beeinflussen kann – gemischte Modelle. Vernetzungs- und Workspace-Rhetorik jedoch lenkt oft von den Aufgaben einer angemessenen Vermittlung künstlerischer Produktion ab und überbetont die Rolle der KuratorInnen als DiskursteilnehmerInnen gegenüber den KünstlerInnen. In diesem Sinne: „Show me, don’t tell me“, wie die Scriptwriter sagen. Die europäische Kunsthalle stellt eine einzigartige Chance dar, entsprechend der oben skizzierten Punkte alles richtig zu machen. Alles andere ist ortsspezifisch.

 

Welche Rezeptionsleistung verlangt eine dezentrale Institution dem Publikum ab?
Tom Holert, Kunstkritiker und Kulturwissenschaftler, Berlin

Im Prinzip keine andere als die, die ohnehin notwendig sind, um sich über die Produktion bildender Kunst zu informieren. Kulturinstitutionen werden als Teil eines Netzwerks von Institutionen wahrgenommen, beansprucht und konsumiert. Diejenige Fraktion des Publikums, die sich – gewissermaßen dem traditionellen Abonnnementprinzip folgend – auf ein Opernhaus, einen Kunstverein, einen Buchclub allein konzentriert und auf diese Weise die eigenen kulturelle Aktivität eingrenzt, ist im Schwinden begriffen. Ausstellungen oder Inszenierungen werden mit anderen Ausstellungen und Inszenierungen in Beziehung gesetzt. Der Kontext der Kunstrezeption ist das Kunstsystem, und dieses System ist – wie der Markt, der es trägt – transnational und dezentral organisiert (sieht man einmal von bestimmten Städten und Leitinstitutionen ab, die als „Zentren“ konstruiert werden). Der Besuch von Kulturinstitutionen ist überdies Teil des touristischen Programms – ob nun in der eigenen Stadt oder anderswo. Zu den Ambitionen angehender oder routinierter „culturati“ gehört es, sich auszukennen, was immer auch bedeutet: zu reisen. Das Dezentrale einer Institution wie der europäischen Kunsthalle, räumlich wie administrativ, entspricht daher einer gewissen Dezentralisiertheit der Subjekte des Kunstbetriebs. Vielleicht werden diese dementierten Subjekte von einer Institution, die sich programmatisch als dezentral entwirft, sogar auf besondere Weise in ihres Subjektivität konstituiert.

 

Inwieweit sind Besucherzahlen relevant für den Erfolg einer Kunsthalle?
Max Hollein, Direktor Schirn Kunsthalle, Liebighaus, Städelmuseum, Frankfurt

Die Besucherzahl symbolisiert nicht den Erfolg einer Kunsthalle, sie ist aber von größter Bedeutung für den Erfolg einer Kunsthalle. Denn eine hohe Besucherzahl schafft langfristige Freiräume gegenüber den politisch handelnden Auftraggebern und ihrer Öffentlichkeit, sie signalisiert Akzeptanz und verhindert so das Infragestellen von komplexeren inhaltlichen Ausrichtungen. Mit einer hohen Besucherzahl kann man auf die Dauer genau das Programm machen, welches man machen will. Mit einer niedrigen Besucherzahl läuft es auf Dauer genau gegenteilig. Die Leistung in diesem Zusammenhang besteht also darin, mit einem inhaltlich komplexen Programm hohe Besucherzahlen zu erreichen – das ist einer, wenn nicht der absolute Erfolgsmoment einer Kunsthalle.

 

GIBT ES EINEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN DEM ERFOLG VON KUNSTINSTITUTIONEN UND DER SPEZIFISCHEN MEDIENLANDSCHAFT DER STADT, IN DER SIE ANSÄSSIG IST?
LARS BANG LARSEN, FREIER KURATOR UND KRITIKER

Im Zeitalter der vernetzten, technologischen Stadt ist die Idee der Stadt relativer als zuvor. Und so sehr wie jede Kunstinstitution, die ihren Einflussbereich auf lokaler als auch regionaler, nationaler und internationaler Ebene definiert, reicht der Anspruch der European Kunsthalle über die Grenzen der Stadt hinaus. Aber der größere Teil des Publikums, das eine Kunstinstitution versucht über die Medien anzusprechen, kommt immer noch aus der Stadt, in der sie angesiedelt ist. Es ist offensichtlich, dass Kunstinstitutionen in einer Haupt- oder größeren Stadt typischerweise bessere PR-Möglichkeiten haben als provinzielle, da der „Medien-Schirm“ großer Städte weiter reicht als derjenige lokaler oder regionaler Medien. Am anderen Ende der Medien-Nahrungskette spielt die Etablierung eigener Mikro-Medien-Strukturen – wie eure Internetseite – eine immer wichtiger werdende Rolle. Dies führt zur übergeordneten Frage: Was ist Erfolg? Letztlich hängt der mediale Erfolg davon ab, welche Kriterien man anwendet: Im Kunstbetrieb wie auch in der Popkultur ist Medienerfolg keine Garantie für gehaltvolle Kommunikation. Dennoch spielen die Medien eine wichtige Rolle bei der Kommunikation eines Programms. Doch da unterschiedliche Arten von Medien auch unterschiedliche Wirkung haben, muss man beachten, welche Medien auf welche Weise für die Kommunikation mit dem Publikum geeignet sind; 90 Sekunden im Fernsehen, ein Artikel in der Regionalzeitung oder die Besprechung in einem von Fachleuten als seriös und informiert angesehen Kunstmagazin? Eine Abdeckung durch alle diese unterschiedlichen Arten bietet Schnittstellen zu deinem Publikum, die sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.

 

Was sind die zeitgenössischen Ort der Kunst?
Sven Lütticken, Kunsthistoriker und Kritiker

Die kurze, leicht zynische Antwort wäre: Biennalen und Kunstmessen. Man sollte jedoch di Frage stellen, ob man wirklich „absolument de son temps“ sein sollte, beziehungsweise ob man nicht auch auf eine andere, anachronistische Weise zeitgenössisch und zeitgemäß sein kann. Damit meine ich nicht, dass man sich von aktuellen Entwicklungen abschotten sollte, sondern dass man sie nicht als geschichtliche Naturgewalt betrachtet und passiv hinnimmt. Interessante zeitgenössische Orte der Kunst sind solche, die zwar Aspekte der heutigen Eventkultur aufgreifen, diese jedoch in ein Ausstellungs- und Aktivitätenprogramm integrieren, das am Rande der dominanten Kultur eine offene, aber fokussierte Öffentlichkeit entwickelt. Dazu ist eine gewisse störrische institutionelle und eben auch räumliche Präsenz erforderlich. Dematerialisierte Institutionen, die nur hin und wieder etwas an irgendeinem „interessanten“ Ort organisieren und dann wieder abtauchen, sabotieren die Bildung einer Kunstöffentlichkeit, die sich nicht in Werbung und Hypes erschöpft. Die Institutionskritik hat die Risiken und Nebenwirkungen von „stabilen“ Institutionen wie Museen aufgezeigt, aber nur physisch vorhandene Institutionen können sich unter Umständen zu kritischen Institutionen entwickeln.

 

Haben statische Institutionen überhaupt noch eine Zukunft?
Florian Malzacher, Leitender Dramaturg und Kurator, steirischer herbst, Graz

Nein. Aber: Warum sind so oft gerade explizite Nicht-Institutionen mit allen Möglichkeiten zur Flexibilität am statischsten? Die Freiheit der freien Szene und Off-Kultur ist oft alles andere als bewegungsfördernd. Egal ob Institution oder Nicht-Institution: Statisches Denken ist künstlerisch und kuratorisch langweilig. Davor schützt die windschnittigste und wandlungsfähigste Struktur nicht. Das Problem ist, dass viele Institutionen durch ihre Architektur einbetoniert sind in fixierte Denkmuster, Ästhetiken, Gesellschaftsbilder. Dazu kommen zählebige Personalstrukturen, festgefahrene Erwartungshaltungen und Politikern, Journalisten und Publikum. Und Faulheit. Statik kann natürlich auch Reibung verursachen. Halt geben. Grenzen und Kontrollmechanismen sichtbar machen. Eine Institution, die vor lauter Flexibilität immer zur Unkenntlichkeit gedehnt wird, ist auch schnell unproduktiv und berechenbar. Statische Institutionen haben keine Zukunft. Aber statische Modelle für nicht-statische Institutionen auch nicht.

 

Hat das Publikum recht, wenn es zeitgenössische Kunst nicht versteht?
Chus Martinez, Direktorin Frankfurter Kunstverein

Die Nacht dauerte zwanzig Sekunden. Danach wurde sie von einem gewaltigen Blitz beendet: GNAC. Groß, laut, wirklich, von einem Dach gegenüber der Wohnung von Marcovaldo – dem Helden der Arbeiterklasse von Italo Calvino – leuchtend. Aber GNAC ist nur der Teil einer größeren Leuchtschrift: SPAAK-COGNAC, die zwanzig Sekunden aufscheint, dann für weitere zwanzig erlischt, und wenn sie wieder aufleuchtet, kannst du nichts anderes mehr sehen. Der Mond verblasste, der Himmel wurde einförmig. Hat das Publikum recht, wenn es zeitgenössische Kunst nicht versteht? Das ist die Frage, die du mir gestellt hast. Ich wurde einmal damit zitiert, „ja“ darauf geantwortet zu haben. Was ich eigentlich sagte, war, dass das Publikum ernst genommen werden sollte, wenn es so etwas fordert. Es könnte allerdings auch sein, dass es nur das GNAC der Geschichte sieht. Der entscheidende Punkt ist also: Wo ist der Rest unseres Zeichens?

 

In welcher Weise ist die im Bereich der Kunst artikulierte Institutionskritik für die Gründung neuer Institutionen relevant?
Nina Möntmann, freie Kuratorin und Autorin

Die klassische Teinahme von KünstlerInnen an institutionellen Prozessen ist zielorientiert. Erwartungsgemäß wird das Resultat der Arbeit eines Künstlers ausgestellt. Künstlerische Produktion wird demnach als ein Beitrag für ein Publikum aufgefasst. Dies spiegelt allerdings nur einen Teil der tatsächlichen Rolle von KünstlerInnen als aktive Co-ProduzentInnen in diversen Bereichen des Kunstfeldes wieder. Institutionskritik war oder ist zum Teil auch ein Ausdruck von Unzufriedenheit damit, vorgefertigte Strukturen kommentarlos zu bedienen, auch wenn sie als problematisch angesehen werden. Darüber hinaus ist Institutionskritik nicht nur ein von KünstlerInnen praktizierter Ansatz. Sie ist auch fester Bestandteil von Lehrplänen in Kuratorenprogrammen und Universitäten. Inzwischen sitzen KuratorInnen, die in den Neunzigern zum Beispiel im Whitney Program gelernt haben, in Museen und Kunsthallen. Mich interessiert es, auch in der strukturellen Arbeit von Institutionen eng mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten, das heißt KünstlerInnen in Planungsformate mit einzubeziehen. Auch, damit die Institution sich nicht nur mit den Erwartungen von Sponsoren, Politikern und diversen Öffentlichkeiten auseinandersetzt, sondern zunächst einmal die Voraussetzungen für künstlerische Arbeit bestmöglich erfüllt. Diese Zusammenarbeit kann auf der Ebene einer Ausstellungsplanung stattfinden, aber eben auch in institutionsbildenden Prozessen. Hier tut sich eine Chance auf für neu entstehende Institutionen, deren Profil noch nicht determiniert ist.

 

Sind Modelle wie das migros museum für gegenwartskunst in Zürich auch in Deutschland denkbar?
Heike Munder, Direktorin, MiGros museum, Zürich

1. Gründen Sie ein Unternehmen als Genossenschaft und führen Sie ein Prozent des Umsatzes an Kultur ab.
2. Dieses Geld aktivieren Sie für Literatur, Theater, Musik, Medien, Kunst, Bildung und Soziales und vergessen Sie dabei nicht, jährlich eine gewisse Summe für eine Kunstsammlung bereit zu stellen.
3. Eröffnen Sie ein Museum, wenn ausreichend Kunst für ein zwischen Sammlungs- und Wechselausstellungen alternierendes Programm vorhanden ist.
4. Forschen, bewahren, vermitteln und produzieren Sie. Genießen Sie ihre Freiheit. Sie haben keinen Vorstand, Freundeskreis oder ähnliches zu bedienen.
Die Frage der Übertragung des Konzepts des migros museum für gegenwartskunst in Zürich an andere Orte entscheidet sich darüber, ob sich solche, vom Vertrauen der Gesellschaft getragene, klassisch mäzenatische Finanzierungen an anderer Stelle realisieren lassen. Diese von Instrumentalisierung befreite Kunst mit gesellschaftlichem Bildungsauftrag ist ein Stück realisierter und erhaltenswerter Utopie.

 

Wie wichtig ist der Aspekt des Räumlichen für eine Kunsthalle?
Juliane Rebentisch, Philosophin und Kritikerin

Frage zurück: „Aspekt des Räumlichen“ wovon? Der Kunsthalle selbst oder der in ihr präsentierten Kunst? Wäre die erste Frage gemeint, die nach der Wichtigkeit, die dem konkreten Ausstellungsraum für den Betrieb einer Kunsthalle zukommt, so müsste die Antwort wohl auf Aspekte von dessen architektonischer Gestaltung eingehen: und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Repräsentativität nach außen wie hinsichtlich ihrer Funktionalität nach innen. Dass dies wichtige Fragen für eine Kunsthalle sind, liegt auf der Hand. Das auszuführen sollte man indes besser andere fragen. Ist jedoch die zweite Frage gemeint, die nach der räumlichen Dimension der Kunst selbst, so wird die Frage erst dann zu einer für eine Kunsthalle in einem signifikanten Sinne wichtigen Frage, wenn man den Umstand in den Blick nimmt, dass die avancierte Kunst heute immer einen Installativen Aspekt hat. Denn das gilt inzwischen auch für die traditionellen Formate wie Malerei und Skulptur: die Exposition im Raum tangiert auch hier die Bedeutung der Exponate selbst. Das aber heisst, dass der Umgang mit dem konkreten Ausstellungsraum zunehmend explizit in den Kompetenzbereich der Künstlerinnen und Künstler selbst fällt: Er ist kein neutraler Hintergrund mehr, vielmehr ist er längst zum künstlerischen Material geworden. Dieser Entwicklung hat eine Kunsthalle in ihrer Praxis Rechnung zu tragen. Das betrifft die notwendige Offenheit gegenüber formalen und inhaltlichen Interventionen in den Raum der jeweiligen Institution ebenso wie den Umgang mit den neuen Reibungszonen zwischen künstlerischer und kuratorischer Praxis sowie die vermittelnde Rolle, die der Ausstellungsarchitektur in diesem Zusammenhang zukommt. Solche kunstpraktisch und -theoretisch interessanten Aspekte eines raum-reflexiven Kunsthallen-Alltags könnten vielleicht in weiteren, etwas konkreteren „Fragen des Tages“ diskutiert werden.

 

Kann eine Kunsthalle eine europäische Dimension entwickeln?
Beatrix Ruf, Direktorin Kunsthalle Zürich

Ja klar, fällt einem als erstes natürlich ein. Und dann wird es auch schon schwierig. Eine Kunsthalle, so wie diese Art von europäischem Kunstinstitut bis anhin mit diesem Begriff gefasst wurde, hat meist internationale Kunst an einem spezifischen Ort und einem spezifischen Kontext einer Stadt, einer Kunstszene zur Diskussion gestellt. Wenn man den Standort und damit auch den Bezug zu einem Ort, einer städtischen Situation, einem lokalen Kontext von Köln oder Bonn oder Berlin und so weiter auf den Standort Europa ausweitet, dann versteht man wohl den Begriff des Standorts oder die Bedeutung des Lokalen in einem anderen Sinne – und positioniert das Zusammenspiel der Institution mit ihrem Kontext in einem kulturell und politisch weiter gefassten Umfeld. Eine Fragestellung, die sich ändert, ist dann vielleicht: Was bedeutet Internationalität (der Kunst) in Bezug zu Köln, und nun neu, was bedeutet Internationalität (der Kunst) in Bezug auf Europa. Vielleicht ist aber die schwierigste Frage dann immer noch: Wie europäisch ist Köln?

 

Warum gibt es in größeren Städten wie London, Berlin oder New York keine Kunsthallen?
Edgar Schmitz, Künstler und Autor

Ich bin nicht so sicher, was Berlin, Paris oder New York angeht, wo die Bedingungen spezifisch sind, aber London ist mit Sicherheit durch seine hybride Landschaft kultureller Institutionen in öffentlichen, privaten und kommerziellen Sektoren und den Rückkoppelungen, die zwischen ihnen produziert werden, definiert (oder besser gesagt: dadurch undefinierbar). Was aus dieser Melange hervorgebracht wird, ist nicht nur ein großes Angebot unterschiedlicher Arbeitsbedingungen, sondern auch eine Vielzahl von Publikumsgruppen und Sichtbarkeit. Ihre Dynamiken fließen ineinander über. Darin ist kein Platz mehr für kulturelle oder politische Einflussnahme oder touristisches Vermarktungspotenzial, das mit einer Kunsthalle als exklusiver Träger kultureller Produktion in Verbindung gebracht wird. Jegliche Forderungen nach dem Status eines wiedererkennbaren privilegierten Akteurs verstummen angesichts der schieren Masse der verschiedenen Ausprägungen. Ihre Bedingung wird immer das „plus eine“, „eine mehr“, „schon wieder eine“ sein (was letztlich eine interessante Position für eine Kunsthalle sein könnte).

 

WELCHE RISIKEN BIRGT DIE GLOBALE VERNETZUNG VON MEDIEN FÜR DIE REZEPTION VON KUNST?
GEORG SCHÖLLHAMMER, CHEFREDAKTEUR SPRINGERIN & DOCUMENTA 12 MAGAZINES, WIEN

Sigmund Freud hat einmal gesagt, eine Hungersnot kann man nicht durch das Austeilen von Speisekarten stillen. Das ist ein sehr schönes Bild über das Verhältnis von Texten zur Wirklichkeit. Oft verstellen Ausstellungsmacher den Besuchern das Sehen der Kunstwerke tatsächlich durch unnötige Texte; sie verstellen eine unmittelbare und für jedermann zugängliche Erfahrung. Und allzu oft wird Kunst natürlich auch dazu verwendet, eine These, ein Thema, die kuratorlsche Idee zu illustrieren. Da wird die Kraft der Kunst. die ja gerade auch in der Uneindeutigkeit, in der Widersprüchlichkeit und im Eigensinn der Bilder liegt, dann als etwas dargestellt, das man nach einer Gebrauchsanweisung lesen kann. Dagegen wehren sich nicht nur gescheite AusstellungsbesucherInnen zu Recht, sondern auch gute Kunstwerke. Aber es gibt da auch noch einen Satz von Picasso, der dem Spott einer seiner konservativen Kritiker einmal stolz entgegenhielt, mit seiner Kunst sei es wie mit dem Chinesischen – und niemand rege sich doch auf, wenn er einen chinesischen Text nicht schon beim ersten Hinschauen oder Zuhören verstehe. Um Ihre Frage anders zu beantworten: Man kann die Geschichte der Gegenwartskunst heute nicht mehr als Lokalberichterstatter zwischen New York und Köln oder London und Paris schreiben. Diese Idee von einer Gegenwartskunst, die von ein paar westlichen Zentren dominiert ist, beginnt sich zum Glück aufzulösen. Selbst New Yorks Szene wirkt gegenwärtig manchmal wie die einer Provinz. Heute gibt es viele Kunstzentren und die Kunst dort spricht ihre eigenen Dialekte. Darum haben wir die ExpertInnen für diese Dialekte – AutorInnen und Kritikerlnnen, Kuratorlnnen, schreibende KünstlerInnen, die vor Ort in den Redaktionen kleiner und großer Medien arbeiten – gebeten, gänzlich unabhängig von uns ihre eigene Sicht auf die zentralen Leitmotive der documenta 12 zu entwickeln und dann mit uns zu diskutieren. Gute Texte am richtigen Ort. in einer Publikation, In einem Katalog zum Beispiel, stören gar nicht.

 

WAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN DES UNTERRICHTENS VON KRITISCHEM DISKURS?
SIMON SHEIKH, ASSISTENZPROFESSOR FÜR KUNSTTHEORIE UND KOORDINATOR CRITICAL STUDIES PROGRAM, ART ACADEMY MALMÖ

Für mich ist die Herausforderung, wie man kritische Theorie in das Denken künstlerischer Praxis implementieren kann, ohne dass das Eine das Andere illustriert. Dies verlangt Prozesse der Übertragung und Übersetzung mit all ihren Veruntreuungen und hoffentlich (gegen-?)produktiven Methoden.

 

INWIEWEIT MÜSSEN SICH NEU ZU GRÜNDENDE INSTITUTIONEN MIT VERÄNDERTEN GESELLSCHAFTLICHEN BEDINGUNGEN AUSEINANDERSETZTEN?
DIRK SNAUWAERT, DIREKTOR WIELS, BRÜSSEL

So eng wie möglich sollten sich Institutionen mit Gesellschaft und Wirklichkeit auseinandersetzen. Neue Institutionen sind die direkte, fast reflexartige Emanation einer gesellschaftlichen Veränderung. Sonst würde sich die Notwendigkeit einer neuen Antwort auf eine Situation nicht zeigen; die Instrumente und Institutionen der Tradition / Überlieferung würden genügen. Es ist essentiell, sich zu fragen, ob Bedingungen determinierend sind oder ob man sie auch verändern oder subvertieren kann und ob eine Institution da die richtige Antwort ist.

 

Warum sind diskurs-orientierte Ausstellungsräume offensichtlich wenig populär?
Bettina Steinbrügge, Künstlerische Leitung Halle für Kunst, Lüneburg

Gegenfrage: Sind sie es wirklich nicht? Was bedeutet eigentlich Popularität? Warum sollten diskurs-orientierte Räume überhaupt populär sein? Popularität wird mit Mehrheiten, Publizität oder Einschaltquoten identifiziert. Das kommt daher, dass Öffentlichkeit heute an Marktkriterien gemessen wird. Die Modi von Zugang und Artikulation werden durch die Modi von Warentausch und Konsum ersetzt. Simon Sheikh hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die Aufklärung die Ideen des rational-kritischen Subjekts und der disziplinären sozialen Ordnung entwickelte, während diese Ideen mittlerweile durch die Vorstellung von Unterhaltung ersetzt worden sind. Diskurs-orientierte Räume können und sollen dies nicht leisten. Sie haben vielmehr die Aufgabe, sich den Prinzipien der Kunstmarkts und der Eventkultur zu entziehen. Gute Ideen brauchen zumeist länger, bevor sie sich entwickeln und vor allen Dingen bevor sie sich im allgemeinen Denken durchsetzen. Popularität dagegen wird über Schnelligkeit generiert, was nicht das Ziel einer kritischen Praxis sein kann, die mit dem common sense und der doxa bricht. Deshalb ist das Populäre auch häufig mit Kurzlebigkeit verbunden. Popularität zu messen ist sehr schwierig, da sie zumeist von einem unspezifischen Publikum ausgeht. Das Terrain der „öffentlichen“ und damit auch „populären“ Sphäre ist jedoch imaginär. Die Idee der universellen bürgerlichen Öffentlichkeit ist ein historisches Konstrukt, und es stellt sich die Frage, ob diese überhaupt jemals als etwas anderes denn als Projektion existiert hat. Letztlich kann es nur darum gehen, partikulare Öffentlichkeiten herzustellen. Ich halte das Nicht-Populäre für einen wichtigen Ausgangspunkt für eine Diskussion mit nachhaltiger Wirkung. Es ist übrigens nicht offensichtlich, dass diskurs-orientierte Räume wenig populär sind, da statistisch gesehen Räume wie zum Beispiel die Generali Foundation in Wien oder die Kunst-Werke in Berlin oder Veranstaltungen wie die letzten documenten angesichts der durchschnittlichen Besucherzahlen und der medialen Präsenz ein durchaus großes Interesse hervorrufen. Auch hier wieder: Ab wann ist etwas messbar populär? Kriterien bitte!

 

IST DIE VORSTELLUNG VON INTERNATIONALITÄT (IN) DER KUNST EIN MYTHOS?
BARBARA STEINER. DIREKTORIN GALERIE FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST, LEIPZIG

Als wir Anfang 2003 mit dem zweijährigen Forschungsprojekt „Kulturelle Territorien“ begonnen haben, wurde von vielen Seiten eine Marginalisierung unseres inzwischen international etablierten Hauses befürchtet. Dass wir die Internationalisierung dermaßen auf’s Spiel setzten und setzen, wird uns, auch zwei Jahre später noch, vorgeworfen. Die Programmatik der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) war, seit den Gründungstagen, deklariert international, wiederholte jedoch auch (unhinterfragt) die tradierte Westbindung dieses Begriffs. Kunst aus dem früheren Ostblock schien hingegen ideologisch belastet und nur so weit akzeptiert als sie sich In diese Vorstellungen von „Internationalität“ einpassen ließ. Das Projekt „Kulturelle Territorien“ widmete sich nun – auch vor dem Hintergrund der Gründungsgeschichte der Galerie, explizit und von vornherein zeitlich begrenzt, den politischen und ökonomischen Implikationen von Kultur und ihrer territorialisierenden Macht. Während im ersten Jahr Klischeevorstellungen, Stereotypen und Projektionen in Zusammenhang mit der Konstruktion „Osteuropa“ thematisiert wurden, verfolgten wir im zweiten und dritten Jahr gezielt Schwerpunktthemen, die nicht mehr unabhängig von globalen Einflüssen gesehen werden können. Von der Ökonomie, der Identität stiftenden Rolle der Medien, der Raum schaffenden Macht von Sprache über Toleranz beziehungsweise Intoleranz, Migration und Raumvertellungen reichte die Spannweite der künstlerischen Untersuchungen. Dabei haben KuratorInnen und KünstlerInnen mit verschiedenen kulturellen Erfahrungen und Prägungen eng zusammengearbeitet Ein kleiner Hinweis an dieser Stelle: Die Eingeladenen kamen nicht ausschließlich aus post-kommunistischen Nachfolgestaaten. Die Wucht der Kritik in Bezug auf unsere programmatische Ausrichtung und vor allem ihre stereotype Nachhaltigkeit bis zum heutigen Tag hat mich überrascht, arbeiten wir doch schon längst wieder (auch) mit Künstlerinnen, die alle geforderten Eckdaten von „Internationalität“ erfüllen. Ihre Arbeiten werden in ökonomisch patenten und politisch einflussreichen Teilen der Welt gezeigt, diskutiert, gehandelt und gekauft. Jedoch kooperieren wir auch mit Künstlerinnen, die nicht oder kaum in diesen hegemonialen Netzwerken auftauchen und nicht weniger in einem national übergreifenden Austausch stehen. Von welcher Internationalität sprechen wir also? Der Ruf nach Internationalität bedeutet im positiven Sinn ein Versprechen. die lokale / nationale Enge zu durchbrechen. Er strebt einen geistigen und materiellen Austausch jenseits nationaler Grenzen an und setzt auf Aufgeschlossenheit und  Weltläufigkeit. Die Forderung nach einer internationalen Kunst ist einerseits Ausdruck einer Sehnsucht nach einer grenzübergreifenden Wertegemeinschaft, verbirgt jedoch andererseits deren hegemonialen Charakter. Wir haben 2003 begonnen. die spezifische Gründungsgeschichte der GfZK als Ausgangspunkt für die neue programmatische Ausrichtung zu nehmen um über ihre Legitimation, ihre Konstruktion, ihre Funktion und Rolle zu sprechen, und eine Debatte über die „Natur von Institutionen“ zu beginnen. Auseinandersetzungen mit Vorstellungen von „Internationalität“ gehören beinahe zwangsläufig dazu. Auf die Frage „Ist die Vorstellung von Internationalität (in) der Kunst ein Mythos?“ antworte ich mit einem klaren Ja. Eine – im utopischen Sinn faszinierende – gesellschaftliche Konstruktion wird zur verbindlichen Tatsache erklärt, und, mit Roland Barthes gesprochen, Geschichte zur Natur.

 

WELCHE MÖGLICHKEITEN BIETET DIE EIGENE AUSSTELLUNGSHALLE IN ABGRENZUNG ZUR DAUERLEIHGABE EINER PRIVATEN SAMMLUNG?
JULIA STOSCHEK, UNTERNEHMERIN UND KUNSTSAMMLERIN, DÜSSELDORF

Grundsätzlich bieten mir meine eigenen Sammlungsräume eine weitgehende Freiheit. Unter anderem auch die Freiheit, das auszustellen, was ich möchte, zum Beispiel bisher noch nicht fest etablierte Künstler. Dass Ich diese Freiheit auch öffentlich zugänglich mache, ist mir dabei ein persönliches Anliegen und ein Angebot an Andere, meine Entscheidungen interessiert und kritisch zu begleiten. Die Aufgaben und vor allen Dingen auch die Pflichten eines öffentlichen Museums sind andere als die eines privaten, und ich würde mir wünschen, dass die öffentlichen Häuser mir den finanziellen Mitteln ausgestattet würden, die es ihnen ermöglichen, ihre klassischen Aufgaben, nämlich zu sammeln, zu bewahren, zu forschen und
auszustellen, angemessen erfüllen zu können.

 

Wie wichtig ist ein tatsächlicher Ort in einer Stadt für eine Kunstinstitution?
Aneta Szylak, Direktorin Wyspa, Institute of Art, Danzig

Orte sind Katalysatoren. Räumlichkeiten sind ausschlaggebend für das Profil und die Botschaft einer Institution. Natürlich nur, wenn man wirklich einen Raum haben will. Einen Raum zu haben kann auch schnell zur Bürde werden, in künstlerischer wie auch ökonomischer Hinsicht. Wenn wir aber annehmen, dass das Gebäude mit dem Begriff der Institution verknüpft ist, ja, dann ist der Ort wichtig. Räumliche Beziehungen und die Kontextualisierung innerhalb eines städtischen Gefüges scheinen zu den am stärksten definierenden Faktoren einer Kunstinstitution zu zählen. Den Ort zu wählen (wenn man die Wahl hat), is dann nicht nur die Suche nach einer attraktiven Räumlichkeit in der Stadt, sondern beeinflusst auch, was man später tatsächlich dort tun wird. So etwas wie eine neutrale Räumlichkeit gibt es nicht. Man kann die Institution aber auch als von jeglicher Verortung befreites, frei flottierendes Projekt begreifen. Leicht beweglich, schnell neu zu arrangieren, schwieriger festzulegen. Es ist billiger, überraschender, wahrscheinlich sexier. Wenn man weiß, wie man es anstellt, nicht in festen und definierten räumlichen Verhältnissen zu arbeiten. Das verändert die Botschaft einer Institution komplett. Keine räumliche Definition zu haben, ist auch eine Definition.

 

SPIELT DIE DISKUSSION UM ZENTRUM UND PERIPHERIE HEUTE NOCH EINE ROLLE?
SUSANNE TITZ, DIREKTORIN MUSEUM ABTEIBERG, MÖNCHENGLADBACH

Faktisch ja. Denn sonst würde dieses Begriffspaar nicht so oft in den Mund genommen. Doch glücklicherweise nicht mehr mit dem mitleidig-arroganten Ton, der früher meist Metropole und Diaspora meinte. Das hängt einerseits damit zusammen, dass sich ein Wissen um die Vergänglichkeit eingestellt hat. Aus Zentren wurden Peripherien, manch unscheinbarer Ort übernahm plötzlich Bedeutung, nichts gilt  für die Ewigkeit. Andererseits ist aus der so genannten Peripherie ein ziemlich attraktiver Aufenthalts- und Produktionsort geworden, dessen Qualität in billigeren Mieten, größerer Freiheit oder persönlicher Ruhe liegen kann und dessen Output früher oder später in die so genannten Zentren dringt und diese unter Umständen in Frage stellt. Das moderne Zentrumsdenken – von Paris nach New York, von Köln nach Berlin – ist bereits in den 1960er und 1970er Jahren durch periphere Orte zum Beispiel in Belgien, Deutschland und den Niederlanden mächtig konterkariert worden – dass man bei Metropolbegriffen blieb, erklärt sich auch aus ihrem Mythos. Erst in den 1990er Jahren endlich wurde Los Angeles entdeckt, dazu kamen zum Beispiel Glasgow und Warschau auf die Landkarte, ebenso Wohn- und Arbeitsorte von Künstlern in Brüssel oder Rotterdam, kuratorische Projekte und neue Ausstellungsadressen in Ljubliana. Danzig, Lüneburg oder Luxemburg, die allesamt zu verstärktem Reisen und permanenter Aufmerksamkeit für neue,meist unbekannte und fremde Orte führten. Eine Peripherie nach der anderen zum neuen Zentrum zu erklären, wäre sicherlich die falsche Entwicklung. Unter Uniständen bleiben die belgischen Ardennen eine Region des Ardenner Schinkens, die Polder in den nördlichen Niederlanden eine Inspirationsquelle für hochprozentigen Genever. Der entscheidende Punkt liegt in der erweiterten Wahrnehmung von Kultur, die sich vor den gegenläufigen Zeichen von nach wie vor zentristischen Marketing- und Marktideologien als ein konsequent widerspenstiges und überraschendes Moment erweisen sollte. Daher gilt: „Watch out“ in der europäischen Kunsthalle und vermeidet „to be centralistic“ in der Betrachtung dessen, was kulturell in Europa und auch anderswo geschieht.

 

IST DER KUNSTMARKT DEM INSTITUTIONELLEN KUNSTBETRIEB IM HINBLICK AUF INTERNATIONALE VERNETZUNG EINEN SCHRITT VORAUS?
NICOLAS TREMBLEY, KURATOR UND GALERIST, PARIS

Die Frage ist weit gefasst und sollte konkretisiert werden: Was genau bedeutet internationales Netzwerken und für wen (Publikum, Künstlerlnnen, Kuratorlnnen, Sammlerlnnen)? Sollen wir „Netzwerk“ als ein aktuelles Wissen, als Information über den neusten Stand der Kunst verstehen? Wenn ja, können der Kunstmarkt und das institutionalisierte Kunstsystem als zwei getrennte Einheiten aufgefasst werden? Mit Sicherheit nicht. Der Kunstmarkt, der innerhalb der Netzwerke des Galeriesystems anzusiedeln ist, spielt seine Rolle im Entdecken und Ausstellen von Kunst traditionellerweise Hand in Hand mit den Institutionen. Es ist eine Hin- und Rückbewegung: Kunst kehrt mit einem Wertzuwachs von den Institutionen auf den Markt zurück. Aber die Ziele des Kunstmarktes sind andere als die der Institutionen, und wenn es stimmt, dass diese manchmal langsamer im Netzwerken sind, hängt dies auch damit zusammen, dass sie als intellektuelle Beobachter fungieren. Das Verdauen und Analysieren der Informationen braucht mehr Zeit. Der Kunstmarkt hingegen arbeitet voranging mit kleinen Informationseinheiten und kann daher effektiver vernetzen – wie ein Oktopus. Aber was sagt das aus? Nicht viel. Der Fall Bilbao war eine wichtige Lehre dafür, wie auf eine Institution angewandte Marketingstrategien zu einem leeren Gehäuse werden können. Er bewog die Welt zu verweigern, dass Kunstinstitutionen. entsprechend der Informationen, die sie weitergeben, zu Shopping-Malis werden – Netzwerken, die sich nicht mehr wirklich mit Kunst befassen. Kunstinstitutionen müssen neue Wege der Vernetzung finden, die sich von denen des Markts unterscheiden.

 

Ist eine Kunsthalle in der Lage, einen kritischen Gegendiskurs zum Kunstbetrieb zu etablieren?
Jan Verwoert, Kritiker

Einem kritischen Diskurs Raum zu geben, liegt für eine Kunsthalle bestimmt im Reich des Machbaren. Kritische Diskurse brauchen Auftragsorte. Nicht umsonst bezeichnet der griechische Begriff „kriterion“ nicht nur das Richtmaß eines Urteils, sondern auch den Ort, an dem der Prozess der Urteilsfindung stattfindet (den Gerichtsplatz). Der Ort Kunsthalle kann also Kriterion sein. Dennoch bleibt die Frage, ob es in der Macht der Institution liegt, Diskurse zu begründen, oder ob nicht eine Institution gerade dann, wenn sie sich als Austragungsort eines Diskurses zur Verfügung stellt, ihre Macht im Sinne einer idealen Gastfreundschaft einschränken sollte. Eigentlich kann die Kritik nur von Gästen, also von außen, kommen. Aber Gäste kann man nicht „etablieren“, nur einladen. Ob sie dann kommen, liegt bei ihnen. Die Kunsthalle ist also auf einen Diskurs angewiesen, von dem sie nie sicherstellen kann, ob er stattfinden wird, selbst wenn es für sie machbar ist, ihm einen Ort zu geben. Dass so ein Diskurs etwas gegen die Betriebsblindheit des Kunstgeschehens ausrichtet und nicht selbst in der allgemeinen Betriebsamkeit aufgeht, lässt sich ebenso wenig im Voraus sicherstellen. Vielleicht kann Diskurs ja genau dadurch nicht zu Betrieb werden, indem man er Etablierung institutioneller Routinen durch die Einladung ungewohnter Gäste immer wieder neu entgegenwirkt.

 

WELCHE RAHMENBEDINGUNGEN SIND FÜR DIE PRÄSENTATION UND VERMITTLUNG ZEITGENÖSSISCHER KUNST ESSENTIELL?
ASTRID WEGE, MITGLIED PROGRAMMTEAM EUROPEAN KUNSTHALLE

Auch wenn Präsentation und Vermittlung im Sprachgebrauch gerne in einem Atemzug genannt werden: Sie meinen Unterschiedliches. Nimmt man den Begriff der Präsentation, ist es meiner Ansicht nach grundlegend, ihn nicht nur auf bereits Vorhandenes zu beziehen beziehungsweise die Institution dem „Präsentierten“ gegenüber als etwas Sekundäres zu begreifen. Entscheidend ist, inwieweit es ihr auch ein Anliegen ist, in engem Austausch mit KünstlerInnen und Kulturproduzentlnnen neue Wege der Produktion und der (Diskurs) Kultur zu beschreiten und in diesem Sinne Denk-, Handlungs- und Gestaltungsräume zu schaffen. Was die Vermittlung betrifft, ist es, auch wenn dies festzuhalten fast ein Gemeinplatz ist, ausschlaggebend, wo man sich innerhalb des künstlerischen Feldes verorten, welches Publikum man mit welchem Angebot ansprechen möchte. Wichtig ist dabei insbesondere jedoch die Offenheit und die Aufmerksamkeit, die implizit immer vorhandene Vorstellung des „Publikums“ durch das tatsächliche Publikum in Frage stellen zu lassen und dies in den eigenen Kommunikationsformen aufzugreifen. Dass für die Entwicklung und Realisierung solcher Überlegungen und Aktivitäten inhaltliche Unabhängigkeit, eine verlässliche finanzielle Ausstattung und Kontinuität essentiell sind, versteht sich von selbst.

 

Wäre eine dezentralisierte Kunsthalle eine sinnvolle Konsequenz aus dem europäischen Anspruch an neue Kunstinstitutionen?
Axel John Wieder, Künstlerischer Leiter Künstlerhaus Stuttgart und Buchhändler Pro qm, Berlin

Der Begriff des Europäischen bezeichnet einerseits ja einen konkreten Bezug auf eine politische Gemeinschaft. So könnte der europäische Anspruch, ähnlich wie nationale Präfixe zur Kennzeichnung von nationalen Institution, etwa für das Deutsche Historische Museum, als Repräsentationsauftrag einer Institution verstanden werden. In diesem Sinne wäre die Europäische Union die entsprechende Bezugsgröße, die eben in Köln – warum auch immer, vielleicht wegen der geografischen Lage – oder an einem anderen Ort durch eine Kunsthalle kulturell mit Sinn gefüllt werden könnte. Die Antwort auf die Frage, ob diese Institution nicht eher dezentral organisiert sein müsste, hinge dann von der jeweiligen Konzeption Europas ab, die eben auch die Frage der Repräsentation Europas mit einschließt, oder anders gesagt, die Konzeption einer europäischen Institution sagt immer auch schon etwas darüber aus, wie man sich Europa als politische Entität vorstellt. Andererseits lässt sich der Bezug auf Europa im Sinne eines Größenmaßstabes lesen. Das Gegenteil wäre vermutlich eine regionale Kunsthalle. Als Institution von gesamteuropäischer Bedeutung würde eine europäische Kunsthalle ein größeres Publikum ansprechen und nicht zuletzt einen relevanten Standortvorteil darstellen. Sie dezentral zu organisieren würde diesen Mechanismus nicht unbedingt durchqueren, sondern unter Umständen sogar noch verstärken, wie ähnlich auch die Flexibilität der Manifesta bislang ihren Festival-Charakter nicht verhindert, sondern vielmehr noch effektiver gemacht hat. Ein stabiler Standort könnte dagegen die Möglichkeit bieten, eine längerfristige Auseinandersetzung zwischen lokalen und europäischen Diskursen zu etablieren. Ich denke, dass sich die Konzeption einer auf Europa zielenden Institution zwischen diesen beiden Kraftfeldern orientieren muss, um weniger im Sinne einer eindeutigen Verortung, sondern vielmehr, um einen beispielhaften und konkreten Ort der Verhandlung bereitzustellen, auch was ihre Organisationsform betrifft. Im Idealfall stünden beide Optionen und alle Möglichkeiten zwischen diesen zur Verfügung, wie es ja in zeitgenössischen Institutionsformen, beispielsweise durch Kooperationen, bereits tatsächlich der Fall ist.

 

WELCHEN GESELLSCHAFTLICHEN ORT KANN EINE KUNSTHALLE HEUTE BESETZEN?
GESA ZIEMER, PHILOSOPHIN UND STELLVERTRETENDE LEITERIN INSTITUT FÜR THEORIE, HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG UND KUNST, ZÜRICH

Eine Kunsthalle kann Gesellschaften kritisch reflektieren, wie es zu bestimmten Zeiten bestimmte Universitäten taten. Da es in den und um die Universitäten (zumindest im deutschsprachigen Raum) sehr ruhig geworden ist, fehlen Orte des öffentlichen, konträren Diskurses. Es sind Orte der Kritik, wobei man sich genau überlegen muss, was Kritik als die Kunst des Beurteilens heute überhaupt noch bedeutet. Ich wünsche mir, dass die Kritik aus ihren super-marginalisierten Räumen heraustritt und ihren Spezialistenslang ablegt. Sicher ist, dass kritische Reflexion in einer Kunsthalle niemals akademisch geführt werden kann, sondern in verschiedenen Medien, mit den unterschiedlichsten Menschen, immer in Verbindung mit der Kunst-, aber auch Alltagspraxis. Ganz banal formuliert: Bei der Programmflut künstlerischer und diskursiver Aktivitäten, die mich täglich überschwemmt: Wann bemerke ich, dass eine Kunsthalle nicht nur ein Ort der Kunst, sondern auch ein gesellschaftlicher Ort ist? Wenn es den Kuratorlnnen gelingt, zu einem bestimmten Thema (gar These – ja, ich freue mich über Thesen!), vielversprechende Konstellationen herzustellen – zwischen Kunst, Theorie, Politik, Wirtschaft etc. Wenn nicht über Kunst, sondern über Gesellschaft nachgedacht wird.

 

 

KölnShow2

V

19. April – 26. Mai 2007

Auf dem Weg zu einer zukunftsorientierten Neugründung einer Kunsthalle in Köln präsentiert die European Kunsthalle in Kooperation mit 18 Kölner Galerien ein ungewöhnliches Ausstellungsprojekt: Die KölnShow2. Das Konzept dieser Ausstellung knüpft an „The Köln Show“ von 1990 an, ein legendäres Gemeinschaftsprojekt, das damals von neun Kölner Galerien konzipiert wurde. In ihren Schauräumen zeigten die Galerien junge und noch nicht etablierte Künstlerinnen und Künstler, von denen heute viele einen feste Größe in der internationalen Kunstwelt sind.
Mit seinen vielen Galerien, Künstlerräumen und -treffpunkten war Köln in den 1980er und frühen 1990er Jahren neben New York das bedeutendste Zentrum des internationalen Kunstmarktes, ein Aktionsfeld, in dem sich KünstlerInnen, GaleristInnen und SammlerInnen selbstbewusst inszenierten und die günstigen Bedingungen des urbanen Umfelds ebenso zu nutzen wie zu definieren wussten. „The Köln Show“ reflektierte dieses spezifische Verhältnis zwischen Kunstproduktion, Kunstszene und Kunstmarkt in der Rheinmetropole.

Im April und Mai 2007 präsentiert die European Kunsthalle die KölnShow2. In einer fünfwöchigen Ausstellung zeigen sie eine Auswahl der internationalen jungen Kunstszene in 18 ausgewählten Galerien Kölns. Die KünstlerInnen werden in den Galerien parallel zum eigenen Programm gezeigt. Mit der Wiederaufnahme dieses Projekts thematisiert die European Kunsthalle den Wandel der Kunststadt Köln seit 1990 wie auch die gegenwärtigen Verflechtungen von Institutionen der zeitgenössischen Kunst und dem Kunstmarkt. Die KölnShow2 stößt ins Zentrum des Mythos von der Kunststadt Köln, sie bündelt ihre Kräfte und setzt als publikumsnahes und kooperatives Ausstellungsprojekt ein medienwirksames Zeichen für die Aktivitäten einer zukünftigen Kunsthalle.

Kuratoren: Nicolaus Schafhausen, Florian Waldvogel
Kuratorische Assistenz: Annette Hans
Projektkoordination: Julia Moritz, Wiebke Kayser
Assistenz: Martina Burgwinkel, Kristina Scepanski

Beteiligte Galerien: BQ, Daniel Buchholz, Luis Campaña, Gisela Capitain, Fiebach & Minniger, Frehrking Wiesehöfer, Vera Gliem, Hammelehle & Ahrens, Michael Janssen, Johnen + Schöttle, Linn Lühn, Mirko Mayer, Christian Nagel, Thomas Rehbein, Sabine Schmidt, Schmidt Maczollek, Otto Schweins, Monika Sprüth / Philomene Magers

 

David Blandy
Galerie Vera Gliem

Für seine Videoarbeiten greift der britische Künstler David Blandy (*1976, London) auf einen großen Fundus an populärem Kulturgut zurück, den er nachahmt. Von Computerspielen und Filmen über Comics und Sprache bis hin zur Musik eignet er sich kulturelle Praktiken an, die er auf ihr gruppen- und identitätsbildendes Potential hin untersucht. In „I Am“ (2003/04) wiederbelebt und personalisiert Blandy eine Schlüsselszene aus dem Film „Star Wars“: Am Küchentisch stehen sich der Künstler und sein Vater gegenüber und sprechen mit den unterlegten Stimmen von Darth Vader und Luke Skywalker die Szene, in der Skywalker erfährt, dass Darth Vader sein Vater ist. Das Video, das in der Galerie Vera Gliem gezeigt wird, untersucht auf humorvolle Weise die ambivalenten Beziehungen zwischen Vater und Sohn. In der „Barefoot Lone Pilgrim“-Serie (2004/06) macht sich Blandy in Abenteuer auf, die auf dem Computerspiel „Street Fighter Zero 2“ basieren und die Lehrreise des Protagonisten Ryu antizipieren, der seine Kampfkunst zu perfektionieren sucht. Der Zusammenschnitt von Blandys eigener Reise auf der Suche nach der Soul(-Musik) mit verschiedenen Filmsegmenten machen aus seinem Video die Verfilmung eines durch Populär- und Medienkultur geprägten Bildungsromans. Identitätsbildung definiert sich über die Nachahmung und teilweise Aneignung von fiktionalen und in anderen Kulturen geprägten Rollen.

 

Simon Denny
Galerie Sprüth Magers

Die Arbeiten des Neuseeländers Simon Denny (*1982, Auckland) tragen eine Spannung in sich, die aus einem Zugleich von Bewegung und Stillstand resultiert. Seine Skulpturen bedürfen einerseits Wände, um ihre Haltung zu bewahren, und widerstreben gleichzeitig deren Begrenzung. Unsicher und direkte Berührungen vermeidend, stehen sie als einzelne Objekte auf schmalen Holzleisten oder -platten im Raum. Indem sie Zwischenräume zu bewahren suchen und jedes Objekt sich als Einzelnes platziert, lassen sie Zweifel an ihrer Standfestigkeit aufkommen. Wolldecken und rohe, industriell gefertigte Holzplatten gehen fragile Beziehungen mit Plastiktüten, Kleidungsstücken, Luftballons und (Zeitungs-)Papier ein. Scheinbar soeben zusammengeknüllte hinterlassene Stoffteile erzählen sowohl von ihrem Nutzen und ihrem ephemeren Dasein als Gebrauchsgegenstände als auch von der Arbeit des Künstlers. In der Galerie Sprüth Magers präsentiert sich dem Betrachter eine melancholische Bühne der Ambivalenz, die beispielhaft in einer statischen Wandarbeit zum Ausdruck kommt, die durch die durch elektrische Spannung unsichtbar still gestellt wird.

 

Maya Hayuk
Galerie Schmidt Maczollek

Maya Hayuk (*1969, Baltimore) entwirft Werbeplakate, CD-Cover, T-Shirt- und Skateboarddesigns, malt auf Scheunen- und Häuserwänden, in Skateparks und Hotelräumen, zeichnet und fotografiert. Hayuks großer Aktionsradius steht in engem Zusammenhang mit ihrem Interesse an Kollaborationen der verschiedensten Art: Die Arbeiten der amerikanischen Künstlerin entwickeln ihre eigene Dynamik aus gemeinsamen Projekten mit anderen Künstlern und Musikern ebenso wie aus einem Fundus an Formen und Bildern, der sich aus verschiedenen Kulturen und Kontexten speist. Hayuk, die in der Galerie Schmidt Maczollek eine Wandmalerei zeigt, aktiviert die umfangreichen Einflüsse und bringt sie in ihre Bildwelt ein. In fließenden Bewegungen und kräftig bunten Farben ergießen sich Pflanzenwelten zu einem Pop-Paradies. In anderen Bildern breiten sich verschlungene Linien organischer Muster oder geometrische Formen aus und rhythmisieren die ungestüm wirkenden Kompositionen. Nackte Menschen verknäulen sich zu orgiastischen Zusammenkünften oder erforschen einander auf intimste Weise: ihre Arme durchdringen gegenseitig ihre Körper und verwandeln sich in Bäume und Blätter. In Hayuks Bildern kündigt sich die Idee von einem glücklichen Zusammenleben in einem „Kingdom of Awesome“ an.

 

William Hunt
Performance

Die Arbeiten des britischen Künstlers William Hunt (*1977, London) wurzeln in den Performances der 1960er und 70er Jahre. Wenn er in „Rodeo/Radio“ (2004) auf einer überdimensionierten, sich drehenden Schallplatte Gitarre spielt und dazu singt, bis er hinunter fällt, wieder aufsteht, dann weiter singt und sich dies in immer kürzeren Intervallen wiederholt, werden Grenzen des körperlich Ertragbaren ausgelotet. Hunt setzt sich in seinen Performances als isoliertes Individuum unterschiedlichen Gefahrensituationen aus, denen er gesellschaftliche und soziale Handlungen oder Formen der Kommunikation wie Gesang entgegensetzt. Aufgrund der körperlichen Anstrengung oder weil er wie in „Put Your Foot Down“ (2006) 20 Minuten unter Wasser in einem BMW sitzt und aus einem Sauerstofftank atmend singt, ist der Gesang kaum oder nur schwer verständlich. Die kommunikative Dimension des Songwritings geht in scheinbar leeren Gesten verloren. Der Künstler mimt in seinen Arbeiten große Taten, die in einer tragischen Endlosschleife aus groß angelegtem Versuch und schlussendlichem Versagen gefangen bleiben und den Zuschauer mit einem unbestimmten Gefühl zurücklassen.

 

Jesper Just
Johnen + Schöttle

In seinen Filmen lässt der junge Däne Jesper Just (*1974, Kopenhagen) die narrativen Strukturen unterschiedlicher Genres ineinander laufen. Die Brillanz seiner Filmbilder, ihr komprimierter Inhalt und die minimalistischen Handlungen der Figuren beschwören die visuellen Klischees klassischer Hollywoodfilme herauf und erinnern gleichzeitig an inszenatorische Techniken aus Werbeproduktionen oder Theater. „Invitation to Love“ (2003) spielt in einem mit Gemälden ausstaffierten Repräsentativraum eines historischen Gebäudes. Die kühle Aura des Ortes wie die bewegungslosen Blicke der in den Gemälden Portraitierten bilden das perfekte Setting für die weitestgehend voneinander isolierten Aktivitäten der Personen. Die Handlung wird von zwei Männern getragen, von denen der ältere sich dem jüngeren anzunähern versucht – zunächst durch verdeckte Gesten, später dann, durch eine dritte Person ermutigt, in einem skurrilen Tanz auf dem Tisch. Die Arbeit, die Just bei Johnen + Schöttle präsentiert, gehört zu einer Reihe von Filmen, die um die Beziehung zwischen einem älteren Herrn und einem jungen Mann kreisen, ohne die psychoemotionale Konstellation, in der die beiden zueinander stehen, aufzulösen. Stattdessen bieten die suggestiven Bilder in ihrer Vieldeutigkeit eine perfekte Projektionsfläche für die persönliche Erfahrungswelt des Betrachters.

 

Marijn von Kreij
Galerie Sabine Schmidt

Auf Wänden oder A4-Blättern entwirft der Niederländer Marijn van Kreij (*1978, Middelrode) seine Welten aus bunten Farbflecken, schwarz-weißen Zeichenstrichen, aus Worten und Satzfragmenten. Oftmals entstehen mehrere, nahezu identische Blätter, auf denen sich scheinbar eben erst entwickelnde Gedanken manifestieren: Es wird notiert und wieder ausgestrichen, „Fehler“ werden wiederholt. Van Kreij formalisiert in seinen Doppelungen das Zufällige und betont den bewussten Kompositionsvorgang hinter den beliebig wirkenden Blättern. Die vermeintlich privaten und in ihren Referenzen an Traumwelten höchst subjektiven und ungefilterten Gedankengänge entpuppen sich oft als Assemblagen von Liedzeilen. Ausgehend von Textfragmenten der Musikkultur entwikkelt sich ein Puzzle aus Assoziationen und Konzepten. So entsteht für die KölnShow2 in der Sabine Schmidt Galerie ein begehbarer Gedankenraum. In „A Thought the Size a Pencil, a Brain the Size an Eraser“ entsteht aus Fotografien, die während kurzen Spaziergängen in der näheren Umgebung gemacht werden, eine Wandzeichnung, die in einem verwirrenden Spiel von Linien Raum und Zeit zusammenzieht. Durch den spielerischen Titel, der einem wissenschaftlichen Artikel über Gehirntransplantationen entnommen ist, werden vielgestaltige Assoziationsketten freigesetzt.

 

Germaine Kruip
Galerie Mirko Mayer

Mit ihren Interventionen macht die niederländische Künstlerin Germaine Kruip (*1970, Castricum) den Betrachter zum eigentlichen Akteur ihrer Arbeiten. In den mit minimalen Mitteln bühnenartig inszenierten Räumen wird sich der Betrachter seiner selbst und seiner das Werk konstituierenden Wahrnehmung bewusst. Indem Kruip die örtlichen Bedingungen aufgreift – sei es der Verlauf von Licht und Schatten im Raum oder der Blick nach draußen –, diese künstlich verdoppelt und der Manipulation unterwirft, fragt sie in ihren Spiegelungen nach dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit, von Authentizität und Darstellung. Für ihre sich stetig erweiternde Arbeit „Image Archive“, die sie in der Galerie Mirko Mayer zeigt, sammelt die Künstlerin Bilder aus Zeitungen und Magazinen, die ihr suspekt erschienen und so unwillkürlich ihren Blick auf sich gezogen haben. Als Doppel-Diaprojektion vereint Kruip je zwei Bilder, die in ihrer Ähnlichkeit Zweifel am journalistischen Wahrheitsgehalt wecken. Sie wirft dabei Fragen auf, die über die gängigen Vorbehalte gegen die realitätsgetreue Darstellungskraft von Fotografie hinausgehen: Handelt es sich bei den Bildern um authentische Abbildungen oder um Konstruktionen von Wirklichkeit, die aus einem kollektiven Bildgedächtnis heraus entstehen?

 

Chris Lipomi
Luis Campaña

Der amerikanische Künstler Chris Lipomi (*1975, Miami) kombiniert industrielle Gegenstände des täglichen Gebrauchs zu „exotischen“ Objekten. Durch die Kontextualisierung dieser Ready-mades untersucht er die Aufmerksamkeitsökonomie der globalisierten Welt und entlarvt die Idee des Exotischen als eine rassistische Konstruktion westlicher Kulturen. Lipomi lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten durch mehrere Kontextverschiebungen auf deren ästhetische Herkunft sowie ihre Doppelfunktion als Gebrauchsgegenstand. Seine Arbeiten erinnern an zeremonielle Objekte, wie sie uns aus ethnologischen Institutionen geläufig sind, und verweisen auf deren Verwertungslogik und die Funktion der Ästhetik als Baustein für kultur-evolutionäre Zuschreibungstechniken. In der Galerie Luis Campaña zeigt Lipomi eine Reihe von Arbeiten, die uns davon überzeugen werden, dass die Transformation von vertrauter Materie in eine ästhetische Sprache als Werkzeug für eine emanzipatorische Kulturkritik dienen kann.

 

Pere Llobera
Galerie Sprüth Magers

Die Malerei des spanischen Künstlers Pere Llobera (*1970, Barcelona) ist eine vielschichtige Mischung aus privaten Welten und unscheinbar wirkenden, alltäglichen Momenten. Die thematische und stilistische Pluralität entzieht sich jeder eindeutigen Klassifizierung. Lloberas zeitlose Panoramen sind immer wieder mit historischen Zitaten besetzt, die er in ein universelles Bezugssystem setzt. Das Vergangene trägt das Zukünftige schon in sich. Diese Hermeneutik erschwert eine eindeutige Definition seiner Arbeiten. Lloberas Arbeiten sind von Kalkül, Präzision und großer Ernsthaftigkeit geprägt. Dabei verbreiten sie eine Melancholie des Scheiterns, ein Gefühl von Unvollkommenheit und die Krise des Ich von uns allen. In der Galerie Sprüth Magers zeigt Llobera von eine Reihe von Arbeiten, die sich aus archahischen und klassischen Motiven rekrutieren. Seine Panoramen verweisen auf historische und aktuelle Bedeutungen, deren dichotome Inhalte sich in der narrativen Malereistruktur andeuten.

 

Keegan McHargue
Luis Campaña

Dort, wo das Kreatürliche auf die grenzenlose Weite des Kosmos trifft, ist der Ort, an dem Keegan McHargue (*1982, Portland) seine Bildwelten entstehen lässt. Zwitterhafte Fabelwesen, menschliche Hybride und komplex anmutende Apparaturen besiedeln die Gemälde und Zeichnungen des jungen amerikanischen Künstlers. Was sich als figuratives Bildprogramm mit erzählerischem Inhalt andeutet, verselbstständigt sich auf der Bildfläche zu farbigen Ornamenten, Liniengeflechten oder planetenhaften Körpern. McHargues Arbeiten, die in der Galerie Luis Campaña gezeigt werden, thematisieren die Übergänge zwischen den verschiedenen Zustandsformen eines Bildes. In ihnen wird die Grenze sichtbar, an der sich die Interaktion der Figuren auflöst und diese isoliert voneinander auf der Bildfläche stehen, wo aus scheinbar narrativen Bezügen formale Zusammenhänge werden und visionäre Weltentwürfe sowie heroische Posen ins Technokratisch-Abgründige kippen. McHargues Methode ist die des Bricoleurs, der vorhandene Bildcodes, kunsthistorische Referenzen und kulturelle Erfahrungen zu vielschichtigen visuellen Informationsclustern zusammenführt.

 

Gareth Moore
Galerie Daniel Buchholz

Der kanadische Künstler Gareth Moore (*1975, Matsqui) beschäftigt sich mit Fragen des Maßstabes, der Materialität und der Wahrnehmungshierarchie. Er adaptiert Gegenstände und Situationen des Alltags und nobilitiert sie – nicht ohne Humor – im Kontext der Kunst. Moore ist ein Archäologe der Gegenwart, der durch die Kombination verschiedener Materialitäten und die Veränderung der Perspektive unseren Blick auf die Wirklichkeit verschiebt. Aber dieses Interesse an scheinbar alltäglichen Dingen, die zu keiner pathetischen Selbstaufladung im Stande sind, ist eine Untersuchung über Aufmerksamkeitsökonomie der kapitalisierten Gegenwart. Es gelingt ihm, unser Rezeptionsverhalten subversiv in Frage zu stellen. Für die KölnShow2 nimmt er uns mit auf eine Reise poetischer Bildergeschichten durch das Antiquariat der Galerie Daniel Buchholz.

 

Tuan Andrew Nguyen
Thomas Rehbein Galerie

Die „Proposals for a Vietnamese Landscape“ (2006/07) von Tuan Andrew Nguyen (*1976, Ho Chi Minh) unterlaufen die traditionell von der Regierung unterstützten Repräsentationsformen. Der nach seinem Studium in L.A. heute wieder in Vietnam lebende Künstler arbeitet für diese Serie mit einem älteren Maler aus Ho Chi Minh Stadt zusammen, der, regierungskonform ausgebildet, dem Realismus verpflichtete Abbilder des sich transformierenden Vietnam schafft. Nguyen nimmt eine sich stetig verbreitende Jugendkultur auf und greift in die Ölbilder ein, indem er Graffitis einfügt. Zwischen sozialistischer und verwestlichender Konsumpropaganda verorten sich mit den Graffitis Namen und somit Individualitäten, die Anspruch auf ihren Platz im Lebensbild des heutigen Vietnam erheben. Neben einem Versprechen von Freiheit scheint in den Eingriffen Nguyens aber gerade in den englischen Signets des Graffiti ein Verlust von kultureller Identität auf: Konsum und Politik bedienen sich einträchtig der Landessprache, während sich die jugendliche Sprayerkultur auf Englisch verständigt. Zusammen mit den Ölbildern wird in der Thomas Rehbein Galerie das Video „Spray It Don’t Say It“ (2006) gezeigt, das sich in verschiedenen Interviews auf die Suche nach dieser illegalen, gruppenbildenden Artikulationsform macht.

 

João Onofre
Galerie Sprüth Magers

Die KölnShow2 präsentiert in der Galerie Sprüth Magers die Videoarbeit „Untitled (Vulture in the Studio)“ (2002) des portugiesischen Künstlers João Onofre (*1976, Lissabon). Zu sehen ist, wie ein Geier im schmalen Studio des Künstlers zwischen Tischen und Regalen hin- und herfliegt. Mit jedem Flügelschlag, bei jedem Start und bei jeder Landung räumt der Vogel einzelne Utensilien von den Tischen. Das Video endet, als der letzte Gegenstand am Boden liegt. Mit der Arbeit „Untitled (Vulture in the Studio)“ dekonstruiert João Onofre das Natur-Kultur-Dispositiv, das das Selbstbild der Zivilisation prägt. Alle Arbeiten des Künstlers greifen die Charakteristika der Videokunst der 1960er auf und werden von einem performativen Verlauf dominiert. João Onofre entwirft Versuchsanordnungen und performative Handlungsanweisungen für seine Protagonisten, deren Verlaufvon der Kamera aufgezeichnet wird und damit auch Länge und Umfang der Arbeiten bestimmt.

 

Hannah Rickards
Galerie Michael Janssen

Die in London lebende Künstlerin Hannah Rickards (*1979. London) reproduziert in ihren Arbeiten Soundlandschaften. In „Birdsong“ (2002) zum Beispiel imitierte sie Vogelstimmen und führte sie ins Ökosystem zurück. In der KölnShow2 präsentiert sie ihre Soundinstallation „Thunder“ (2005/06). „Thunder“ ist eine 8-minütige Komposition eines Donnerschlags, den Hannah Rickards in Zusammenarbeit mit dem Komponisten David Murphy arrangiert hat. Ihrer Komposition liegt die Aufnahme eines echten Donnerschlags zugrunde, der auf eine Länge von acht Minuten gedehnt und von einem Orchester nachgestellt wurde. Die orchestrale Improvisation wurde danach wieder auf die ursprüngliche Länge des Donnerschlags verkürzt. Das Ergebnis ist im Eingangsbereich der Galerie Michael Janssen zu hören.

 

Aïda Ruilova
Frehrking Wiesehöfer

Zentrales Thema in den filmischen Arbeiten der Amerikanerin Aïda Ruilova (*1974, Wheeling) ist die menschliche Kreatur als Bedeutungsträger alltäglicher Gewalt. Ihre Filme rezitieren den psychischen und physischen Schmerz und werfen den schmerzempfindenden Menschen auf die  Elementarebene des anonymen Seins zurück. Der Film „The Stun“ (2000), den Ruilova in der Galerie Frehrking Wiesehöfer präsentiert, zeigt eine Frau, die einem Mann den Mund aufreißt. Die Figuren bleiben statisch, die Atmosphäre ist düster, das Bild grobkörnig und der Bildrahmen zittert, was das Leiden ohne Sinn nur zu unterstreichen scheint. Waren bei Francis Bacon die verschiedenen Variationen des Schreis zu „Studie nach Velázquez: Papst Innozenz X“ noch eine Metapher des Schmerzes und Ausdruck eines Verlangens nach Erlösung, so wird man sich bei „The Stun“ seiner transzendentalen Obdachlosigkeit bewusst.

 

Margret Salmon
Galerie Gisela Capitain

Die amerikanische Fotografin und Filmemacherin Margaret Salmon (*1975, Suffern) wird in der Galerie Gisela Capitain ihre beiden Filme „Peggy“ (2003) und „P.S.“ (2002) präsentieren. Die in Kent lebende Künstlerin sieht ihre Filme in der Tradition des italienischen Neorealismus, des französischen Cinéma vérité und in den amerikanischen Propaganda-Dokumentationen der Farm Security Administration. Salmon arbeitet mit den traditionellen Filmformaten 16mm oder Super 8 und versucht, die porträtierten Personen für sich selbst sprechen zu lassen, frei von möglichen Interpretationen der Filmemacherin. In ihren Filmen verzichtet die diesjährige Preisträgerin des MaxMara Art Prize auf alle zusätzlichen Effekte, um den Betrachter noch näher an die Alltagsrealität ihrer Protagonistinnen und Protagonisten heranzuführen und jede mögliche ideologisierte Interpretation auszuschließen.

 

Fernanda Sánchez Castillo
Fibach & Minninger

Fernando Sánchez Castillo (*1970, Madrid) macht sich in seinen Videos und Skulpturen auf die Suche nach den Brüchen und dem Absurden im Verlauf der Geschichte. Ausgangsmaterial für seine behutsamen Analysen sind die Überbleibsel der Vergangenheit, wie sie sich in der Gegenwart
häufig in Form von Monumenten oder Statuen symbolisch erhalten haben. Das Video „Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago“ (2004), das der Spanier in der Galerie Fiebach & Minninger zeigt, entlehnt seinen Titel der Überschrift zu einem Zeitungsartikel, der 1968 in einer großen brasilianischen Tageszeitung erschien, als in Brasilien im Zuge eines schrittweisen Coup d’Etat die Pressefreiheit abgeschafft wurde. Der Artikel verhandelte nicht die unmittelbaren und relevanten Ereignisse, sondern das ultimativ Banale. Sánchez Castillo führt in seinen Bildern, die trotz der prinzipiell gewalttätigen Szenen durch Bildsprache und Musik ästhetisch überformt sind, die Kreisbewegung der Geschichte vor. In unfreiwillig komisch wirkenden Choreographien arbeiten sich im Verlauf des Films Gruppen von Menschen an dem abgetrennten Kopf einer Bronzestatue ab, der schließlich ramponiert auf einem Feld vergraben wird. Ein Bauer findet dieses bedeutungsvolle Relikt und gibt ihm als Eselstränke einen neuen, unreflektierten Platz im täglichen Leben und damit eine neue Funktion. In ihrem durchkomponierten Ablauf erinnern Sánchez Castillos Bilder an Nietzsches Unglauben an die große Revolution und einen progressiven Geschichtsverlauf.

 

Karen Sargsyan
Galerie Christian Nagel

Stille, Zeitlosigkeit und gebrochene Nostalgie prägen die Atmosphäre in den raumgreifenden Installationen aus Papier von Karen Sargsyan (*1973, Jerevan). In seinen gegenständlichen Environments ist der Rezipient aufgefordert, seinen Platz zu definieren, sobald ein Detail die kollektive Erinnerung abruft. Das statische Bild wird so zur Geschichte. Die Installationen funktionieren als offene Bühnen für Gedanken und speichern so Kollektives. Die Arbeiten thematisieren durchweg märchenhafte Szenarien, und zwar solche im Grenzbereich von Zivilisation und Natur: Gleichzeitig liegt die paradiesische Idylle fern, vielmehr spiegeln die Landschaften das zwiespältige Verhältnis des Menschen zu Kultur und Natur. Die Anwesenheit von Spuren halten die (Landschafts-)Impressionen in ambivalenter Spannung. Für die KölnShow2 hat der armenische Künstler Karen Sargsyan im Büro der Galerie Christian Nagel speziell für diesen Ort eine neue Arbeit entwickelt, die das dichotome Referenzsystem seiner bisherigen Arbeiten fortsetzt.

 

Andrew Schoultz
Linn Lühn

Die Zeichnungen, Wandbilder und Installationen des in San Francisco lebenden Andrew Schoultz (*1975) bevölkern symbolische Figuren, die uns an vergangene Zeiten und Kulturen erinnern. Gepanzerte Pferde sprengen mit Fahnen durchs Bild und mongolische Krieger beschwören Übermächte, seltsam zeitversetzt in einer Welt voll Schornsteinen zwischen einfachen Holzhütten, Strommasten und zerberstender Natur. Schoultz entwickelt seine Arbeiten aus den Problemen des modernen, konsumgeprägten Lebens heraus. Wenn er mit seinen Wandbildern den öffentlichen Raum oder den Kunstraum bearbeitet, will er Assoziations- und Denkprozesse anstoßen, die keineswegs eine Corporate Identity verlangen, sondern dem Betrachter ein offenes Feld bieten. Schoultz versucht, in dem Betrachter ein Bewusstsein zu wecken, dass auf einer individuellen Sensibilität für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem natürlichen Leben beruht, um in unserer kulturgeprägten Gegenwart das Wissen um die Natur zu (re-)aktivieren. Einen solchen gedanklichen Freiraum schafft Schoultz für die KölnShow2 in einem Wandbild und in mehreren Zeichnungen in der Galerie Linn Lühn.

 

Kwang Ju-Son
Galerie Hammelehle und Ahrens

Der reiche und eitle Mr. Jae-Won hat ein Blind Date mit einer jungen Malerin in einem Café namens Brandenburg. Auf dem Weg dorthin stellt er sich die Frage nach seinem Lieblingskomponisten klassischer Musik. Die Autofahrt wird so zu einer Reise durch verschiedene Epochen, Stile und Zeiten. In „Punk Eek“ (2004) von Kwang-Ju Son (*1970, Korea) verwischen immer wieder Realität und der Blick darauf. Das Autoradio diskutiert mit Mr. Jae-Won über Chopin, Beethoven und Mozart und Straßenverkäufer prügeln sich bei der Frage, ob die Zukunft der klassischen Musik in Schönbergs Serialität oder Webers freier Tonalität zu finden sei. Der „reflexive Mechanismus“ (Niklas Luhmann) des Mannes stürzt ihn am Ende in eine tiefe Krise, nachdem er endlich eine Antwort für die Ausgangsfrage des Films gefunden hat, und zwar in dem Moment, als ihn die junge Frau im Café nach seinem Lieblingsmaler fragt.

 

Kostis Velonis
BQ

Als Bildhauer schafft Kostis Velonis (*1968, Athen) fragile Objektkonstellationen, in denen er das Gleichgewicht von Körpern prüft, Großes neben Kleines setzt und industriell gefertigte Produkte mit ungeformten Werkstoffen verbindet. In seinen Arbeiten setzt sich der griechische Künstler mit modernistischer Architektur und funktionalem Design auseinander und fügt ihnen imaginäre Handlungen hinzu, die häufig über den Titel der Arbeiten ins Spiel kommen. Velonis’ skulpturale Anordnungen setzen sich über Zeitachsen und Geografien hinweg, indem sie die flüchtige Erinnerung an die Ausgangsstoffe sowie die vielfältigen Erzählstränge, die sie entfalten, mit der Präsenz der Materialien vor Ort verbinden. Sie geben sich mal raumgreifend und auratisch und erforschen kollektives kulturelles Wissen, um im nächsten Moment anti-monumentalistisch zu erscheinen und Platz zu machen für individuelle Befindlichkeiten und die Gefühls- und Erfahrungswelt des Subjekts, für seine Stimmungen, Ängste und Träume. Die Objekttableaux, von denen Velonis einige in der Galerie BQ zeigt, erscheinen als situativ errichtete Stillleben, die dem Betrachter vielfältige Zugangsmöglichkeiten bieten.

 

Tris Vonna-Michell
Galerie Otto Schweins

Die Geschichte der menschlichen Zivilisation basiert in weiten Teilen auf mündlicher Überlieferung. Mit seinen Sprechperformances knüpft der britische Künstler Tris Vonna-Michell (*1982, Rochford, England) an diese Tradition an. In seinen Redeauftritten verschmelzen Elemente aus Stegreifkomik und dokumentarischer Berichterstattung mit den narrativen Strukturen von Theatermonolog und Straßensprache. Die Auftritte basieren auf einem vorgefassten Skript, das im Moment der Aufführung und durch die Interaktion mit dem Publikum modifiziert wird. Vonna-Michells Narrationen berühren historische Ereignisse und nutzen diese als Handlungsrahmen für biografische Erinnerungen und die Rekonstruktion von zurückliegenden Begebenheiten. Fotografien, Textmaterial, Filmsequenzen und Objekte aus dem alltäglichen Gebrauchszusammenhang unterstützen den Künstler in seinem Vortrag. Dabei bleibt jedoch offen, ob diese Materialien Requisiten in einer fiktiven Inszenierung sind oder sie eine vom Künstler durchlebte Situation bezeugen und dadurch in einem dokumentarischen Verhältnis zur Wirklichkeit stehen. In diesem Dazwischen, zwischen Fakt und Fiktion, verleihen der rasante Vortragsstil und Londoner Akzent des Künstlers der Erzählung Authentizität und Unmittelbarkeit. Im Kontext der KölnShow2 entwickelt der Künstler eine neue Arbeit, die das Konzept der dezentralen Ausstellung spiegelt.

 

Modelle für Morgen

V

2. März–28. April 2007, 22 Orte in der Kölner Innenstadt

Die Ausstellung ist in Abhängigkeit von den regulären Öffnungszeiten der Orte zu unterschiedlichen Zeiten zugänglich. Den Ausstellungsparcours finden Sie als Download hier.

An außergewöhnlichen kulturellen ebenso wie alltäglichen Orten in der Kölner Innenstadt stellen 21 KünstlerInnen ihre Entwürfe für eine neue Kunsthalle vor. Die speziell für die Ausstellung entstandenen Skizzen, Pläne und modellhaften Arbeiten der internationalen KünstlerInnen thematisieren sowohl die Architektur des neuen Ausstellungsortes als auch seine möglichen Nutzungskonzepte. „Modelle für Morgen: Köln“ stellt Projekte und Visionen für eine Kunsthalle im Kontext der Stadt vor und entwickelt Alternativen zur institutionellen Kunstpräsentation. Das Spektrum der Arbeiten reicht dabei von pragmatisch-handlungsorientierten Entwürfen bis hin zu abstrakten Denkmodellen.
Die European Kunsthalle verfügt in ihrer Gründungsphase über keinen eigenen Ausstellungsort. Für „Modelle von Morgen: Köln“ nutzt die Institution daher den städtischen Raum mit seinem Angebot an öffentlich zugänglichen Orten. Die ausgewählten Orte repräsentieren vielfältige Raummodelle mit unterschiedlichen Öffnungszeiten, kommerzieller oder öffentlicher Ausrichtung, hoher Bekanntheit oder Existenz am Rande. Sie zeigen, dass bereits in den vorhandenen Raumressourcen der Stadt Antworten auf die Fragen nach dem zukünftigen Profil der European Kunsthalle liegen könnten.

„Modelle für Morgen: Köln“ entwirft einen ringförmigen Parcours durch die Kölner Innenstadt. Das Projekt verlagert den Ausstellungsraum in den Stadtraum und begegnet den Menschen dort, wo öffentliches Leben stattfindet: in den Durchgangsräumen der Verkehrsbetriebe, in Gaststätten und Passagen, in Callshops, Tankstellen und im stark frequentierten Einzelhandel. Da die Betrachtung der Kunstwerke den Öffnungszeiten der jeweiligen Orte unterliegt, sind auch die Besucher eingeladen, sich auf deren zeitliche Organisationsprofile einzulassen und die Zugangsmöglichkeiten und Dynamik der Räume zu hinterfragen.

Kuratiert von Nicolaus Schafhausen, Vanessa Joan Müller und Julia Höner

Raumkonzept von Nikolaus Hirsch, Markus Miessen, Philipp Misselwitz, Matthias Görlich (Spaces of Production), Assistenz: Jan Sauerborn

Projektkoordination Julia Höner, Julia Moritz, Assistenz: Annette Hans, Martina Burgwinkel, Kristina Scepanski

 

 

Lawrence Weiner, __ +__ PUT WHERESOEVER, 2007

U-Bahn Station Dom/Hbf, Zugang vom Hbf, Mo-So 0:00-24:00 Uhr

Der amerikanische Künstler Lawrence Weiner (*1942) gehört zu den wichtigsten Vertretern der Konzeptkunst. Sprache und Text sind seine Ausdrucksformen, mit denen er Arbeiten schafft, die jenseits ihrer materiellen Manifestation existieren und die gedankliche Konzeption des Werkes als gleichwertig zu seiner Umsetzung im Objekt verstehen. In Weiners Entwurf für die Ausstellung „Modelle für Morgen: Köln“ stehen zwei weiße Rechtecke stellvertretend für ein beliebig großes räumliches Vakuum, das „wheresoever“, wo auch immer, platziert werden kann. Die räumlich ungebundene Kunsthalle existiert demnach an jedem Ort, an dem Kunst gezeigt wird: die Kunst definiert die Institution. Auch seinem künstlerischen Entwurf selbst attestiert Weiner die Flexibilität, die er der Halle verordnet. Über die konkrete Ausführung, die Materialien und Größe seiner Arbeit bestimmt nicht der Künstler, sondern die Ausstellungssituation, in die sein Vorschlag integriert wird.

 

Pia Rønicke, Model for Cinema, 2007

Hilton Cologne, Marzellenstrasse 13-17, Mo-So 0:00-24:00 Uhr

Pia Rønicke (*1974) hat im Fo-yer des Hotel Hilton Cologne ein Miniaturkino errichtet, in dem sie drei ihrer das utopische Potenzial moderner Architektur reflektierenden Filme zeigt. Wie verändern sich gesellschaftliche Visionen im Pro-zess ihrer Realisierung? Wie werden utopische Entwürfe gesellschaftlichen Realitäten angepasst? Gespräche von Architekten über eine als Industriegebiet geplante, jetzt in ein Wohnareal transformierte Zone und den urbanen Raum als „multikompatibles System in konstanter Veränderung“ („Zonen“, 2005) stehen neben einer aus dokumentarischem Fotomaterial montierten Narration über das Schindler Haus in Los Angeles, einer in den 1920ern und 1930ern berühmten alternativ-utopischen Wohnarchitektur („The Life of Schindler House“, 2002). Bestandteil des Programms ist weiterhin ein Animationsfilm über einen aus dem Geist selbstregulierender Systeme entstandenen modu-laren Wohnkomplex („Cell City–A System of Errors“, 2003). Gemeinsam ist allen Filmen die inhaltliche wie ästhetische Reflexion der Schönheit des Utopischen und ihres antagonistischen Verhältnisses zum realen Leben sowie das Spannungsverhältnis zwischen Vision und Entfremdung.

 

Vito Acconci / Acconci Studio, Interiors. Buildings. Parks. 2004 (Film by Julia Loktev)

Tele Café Köln – Am Dom, An den Dominikanern 3, Mo-So 9:00-23:00 Uhr

Vito Acconci (*1940) ist als Protagonist der Performance- und Videokunst der 1970er Jahre bekannt. Seitdem entwickelte sich sein Werk in Richtung audio-visueller Rauminstallation. Die Beschaffenheit des öffentlichen Raumes und die Situation von Kunstinstitutionen innerhalb ihres städtebaulichen Umfeldes ist aktuelles Thema seiner architektonischen Entwürfe. Im Rahmen von „Modelle für Morgen: Köln“ zeigt Acconci eine Auswahl computeranimierter Modelle von Plätzen, Innenraumgestaltungen und vor allem Bauwerken, die sowohl als attraktiver Solitär im urbanen Gefüge funktionieren als auch den Handlungsspielraum des individuellen Besuchers thematisieren. Die DVD ist an einem dafür reservierten Monitor des kommerziellen Callshops „Tele Café Köln–Am Dom“ zu sehen. Das Phänomen Internet- bzw. Telefon-Lokal stellt einen typisch nach-öffentlichen Hybrid zwischen privater Telekommunikation und dem kollektiven Konsum dieses Angebots dar. Hier trifft die virtuelle Arbeit Acconcis auf ein nach-öffentliches Publikum, das selbst zum Teil nur virtuell über den jeweiligen Kommunikationskanal in Köln anwesend ist.

 

Superflex

Deutsche Bank Privat- und Geschäftskunden AG, An den Dominikanern 11–27, Mo, Do 9–18 Uhr, Di, Mi 9–16 Uhr, Fr 9–15.30 Uhr

 

Luca Frei, Once again we have changed the means of communication But not their content, 2006/2007 

Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, Mo-Fr 8:00-19:00 Uhr

Die installativen Arbeiten des Schweizer Künstlers Luca Frei (*1976) bewegen sich entlang der Grenze zwischen öffentlichen und privaten Ausdrucks- und Handlungsformen und generieren einen eigenen Möglichkeitsraum, der die strikte Trennung dieser beiden Sphären produktiv überschreitet. Sein hölzernes Modulsystem aus unterschiedlichen modernistisch-geometrischen Objekten, deren Funktion die einer Treppe, eines Bücherregals oder auch eines Sitzmöbels sein könnte, steht in dieser Linie offener Assoziationsangebote. Das unbestimmte Potenzial wird durch die lose Verteilung der Elemente in den halb-öffentlichen Durchgangsräumen des Servicezentrums der Industrie- und Handelskammer Kölns noch gesteigert: Teils prominent und zur Benutzung anregend, teils irritierend, scheinbar vergessen in peripheren Ecken und Enden der Korridore platziert, eignet sich Frei alltägliche Wege und Handlungen für sein interaktiv angelegtes System an, das den institutionellen Raum gleichermaßen nutzt und stört.

 

Sean Snyder, Untitled, 2007

Lesesaal im historischen Archiv des Erzbistums Köln, Gereonstraße 16, Di, Do, Fr 9:00-16:00 Uhr, Mi 9:00-13:00 Uhr

Der amerikanische Künstler Sean Snyder (*1972) untersucht in seinen Fotografien, Text- und Videoarbeiten die Rolle, die den Massenmedien bei der Konstruktion des urbanen Raums zukommt. Dabei richtet er seinen Blick auf die Mechanismen der medialen Repräsentation und deren ideologische Implikationen. Sein Beitrag zur Ausstellung „Modelle für Morgen: Köln“ ist ein Handapparat zur Typologie einer neuen Institution für Gegenwartskunst. Snyders lose Genealogie verschiedener Institutionsmodelle verdichtet sich zu einem konkreten Vorschlag für einen neuen Ausstellungsort und dessen Vermittlungsinstrumente. Der Entwurf ist von persönlicher Erfahrung genauso gespeist wie von archivarischem Bild- und Textmaterial über existierende Museumsorte. Auch die Bildcodes einer extremistischen Propagandamaschinerie werden in seine Recherche integriert und auf ihre Brauchbarkeit als Kommunikationswerkzeuge hin abgeklopft. Auf diese Weise gerinnt sein Vorschlag zu einer institutionellen Plattform, die Zeitachsen und ideologische Grenzen überschreitet und einen offenen Handlungsraum beschreibt. 

 

Haegue Yang, Series of Vulnerable Arrangements – Version Cologne, 2007

Statthaus, Steinfelder Gasse 33, Zugang Mo 16:30-18:30 Uhr, Do 14:00-16:00 Uhr (24h durch das Fenster sichtbar)

Für „Modelle für Morgen: Köln“ hat die koreanische Künstlerin Haegue Yang (*1971) eine Licht-

installation im Foyer eines Boardinghauses eingerichtet. Die Gruppe von abgedunkelten Leuchtkörpern oszilliert in einem Zwischenbereich, in dem sie weder pragmatische Raumbeleuchtung ist noch ganz auf sich selbst bezogen bleibt. Yangs Arbeit „Series of Vulnerable Arrangements – Version Cologne”, lenkt den Blick auf das Licht selbst und befördert seine ureigenste Bedeutung zu Tage: dass es Dinge sichtbar macht und zugleich als optisches Phänomen den Blick auf sich zieht, sozusagen anziehende Ausstrahlung hat. In dieser doppelten Bedeutung des Lichtphänomens, die subtil unter der Oberfläche des Sichbaren schwelt, findet die Künstlerin eine Analogie für die Verfasstheit von Gemeinschaften und den unsichtbaren Beziehungsgeflechten, in die Individuen eingebunden sind. Yang beantwortet den Auftrag, Eigenschaften einer neuen Kunsthalle zu definieren, mit einem offenen Assoziationsfeld, das um die sinnliche wie sichtbar machende Funktion von Licht kreist. 

 

Michael Beutler, Halle neben Beeten, 2007 

Platz vor der Vic Cocktailbar, Friesenstraße 16, Mo-So 0:00-24:00 Uhr

Michael Beutlers (*1976) Installationen beziehen sich auf vorgefundene, situative Kontexte. Diese können eine bestimmte Architektur, die Konstitution einer Gesellschaft oder einfach die Bedarfslage seiner Auftraggeber betreffen. Beutlers Raumentwurf einer neuen Kölner Kunsthalle ist an keinen konkreten Ort gebunden. Er betrifft eher eine universale städtebauliche Situation mit Mangel an unbebauter Fläche und dem Fehlen finanzieller Ressourcen zur Realisierung kultureller Bauprojekte. Beutlers Architekturensemble gibt sich kubisch-modernistisch und schiebt sich in eine Lücke zwischen zwei Gebäude. Die Kunsthalle wird als parasitäres Konstrukt gedacht, das vorhandene Architekturen pragmatisch und kosteneffizient gebraucht und als flexible Hülle für unterschiedliche Nutzungskonzepte funktioniert. Beutlers Beitrag verdeutlicht, dass in der konkreten Architektur nicht nur die Lösungen für Standort- und Finanzierungsfragen liegen, sondern über sie auch Rückschlüsse auf die Transformation des öffentlichen Raums möglich werden. 

 

Erik van Lieshout, Kunsthalle Hollywood, 2006

Sportlounge Michael Janson, Im Klapperhof 33c, Mo, Do 12:00-15:00 Uhr, Fr 16:00-18:00 Uhr, So 14:00-18:00 Uhr

Erik van Lieshout (*1968) tritt mit seinen Zeichnungen, Videos und Installationen dem Publikum provokativ entgegen. Von der eigenen Person und seinem Lebensumfeld ausgehend, entwirft er Handlungsräume, die nicht nur für die Erfahrung und Inszenierung seiner Bildfiguren untereinander bestimmend sind, sondern auch für die Wahrnehmung des Betrachters. Für die Ausstellung hat der Künstler kleinformatige Zeichnungen entworfen, die in der intimen Umgebung eines privaten Fitnessstudios gezeigt werden. Ihr Thema ist die Kunsthalle als gesellschaftlicher Raum – die „Kunsthalle Hollywood“. Van Lieshout fragt nach den Inszenierungen und Popularisierungen innerhalb des trad-tionellen Präsentationskontexts Kunsthalle. Mit ihrer Ästhetik aus Glamour, Kitsch und Trash ist die „Kunsthalle Hollywood“ ein Ort, an dem sowohl Verlangen befriedigt als auch Träume entworfen werden. Der Raum der Kunst erscheint bei van Lieshout als Raum einer inszenierten Gesellschaft schnelllebiger Identitäten.

 

TUE GREENFORT: TENT, 2007


Erste Kirche Christi, Albertusstraße 45a, Mo, Mi 16:00-19:00 Uhr, Di, Do 10:00-13:00 Uhr

Tue Greenforts (* 1973) künstlerische Arbeiten sind oft das Ergebnis spezifischer ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Analysen. Was als Recherche beginnt, nimmt durch die Information und das Material, das er zu einem Thema sammelt, ästhetische Form an. Greenforts Beitrag für „Modelle für Morgen“ bezieht sich auf das 1957 entstandene „Tanzbrunnenzelt“ des deutschen Architekten Frei Otto für die Bundesgartenschau in Köln. Es dient als Grundlage für Greenforts Ideen zu alternativen Bauweisen. „TENT“ ist ein zartes Konstrukt aus verschiedenen Materialien, einschließlich Fotografien großer Werbetafeln – Greenforts subjektivem Kartografierung der nach-öffentlichen, Aufmerksamkeit suchenden Innenstadt Kölns. Trotz seiner formalen Sprache, die sich an architektonische Modellen antlehnt, ist es eher ein Plädoyer für flexible architektonische Strukturen als eine tatsächliche Miniatur eines fiktiven Gebäudes. Im Lesesaal der ersten Kirche Christi präsentiert „TENT“ einen möglichen Punkt im Koordinatensystem von Vision, Wissen, Marketing, Missionierung, Improvisation und Institution.

 

Alex Morrison, Don’t let them see us, don’t show them what we are doing, 2007 

Buchandlung Walther König, Ehrenstraße 4, Mo-Fr 10:00-19:00 Uhr, Sa 10:00-18:00 Uhr

In seinen Arbeiten nimmt der kanadische Künstler Alex Morrison (*1972) soziale Gruppierungen in der Stadt als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit öffentlichem Raum. Ihn interessiert, inwieweit in Zeiten der medialen Kommerzialisierung auch radikaler Subkulturen diese als authentisch wahrgenommen werden können. Seine Arbeit für die Ausstellung „Modelle für Morgen: Köln“ kündigt nächtliche Fahrradtouren durch Köln an. Vorbild der rein fiktiven Aktionen sind politisch motivierte Fahrrad-„mass rides“ in den USA. Doch Morrisons Touren sind weder politisch konnotiert noch als sozialkritische Protestaktion geplant, ja noch nicht einmal organisiert. Nur Treffpunkt und Uhrzeit sind vorgegeben. Sein Konzept impliziert die Möglichkeit der praktischen Ausführung und spielt auf das Potential eines Massenphänomens an, das aus der Bevölkerung entspringt und jenseits von durchorganisierten und institutionalisierten Mega-Events passiert. Der Passivität des Rezipienten in herkömmlichen institutionellen Kontexten setzt Morrison seinen Aufruf zu selbstbestimmtem Handeln entgegen. 

 

International Festival, Capitalism! BRNG IT ON, 2007 

Neumarkt-Galerie, Neumarkt 2, Mo–Do, Sa 7:00–21:00 Uhr, Fr 7:00–22:00 Uhr

Auftritte des GoldFlash Cheerleader e. V.  am 10.3. / 17.3. / 24.3. /  31.3. um 12:30 Uhr und 13:30 Uhr sowie 14.4. / 21.4. / 28.4. um 13.30 Uhr

International Festival (initiiert von Tor Lindstrand und Mårten Spångberg, 2004) ist eine offene transdisziplinäre Plattform für Projekte, die sich bestimmter performativer Methoden bedienen, um ihr Publikum in einen aktiven Prozess der Verhandlung institutioneller Kontexte zu verwickeln. Für die European Kunsthalle haben sie die Arbeit „Capitalism! BRNG IT ON“ entwickelt, die aus einem wöchentlichen Cheerleader-Auftritt im Eventbereich der Shoppingmall „Neumarkt-Galerie“, einem Baustellencontainer mit dem European Kunsthalle-Signet im öffentlichen Raum sowie einer kostenlosen Publikation aus dem überschüssigen Druckkontingent des Van Abbemuseum in Eindhoven besteht. Mit der Zusammenführung dieser unterschiedlichen Gruppen und Kommunikationsmedien fragen International Festival nach den nach-öffentlichen Akteuren und ihren Raum schaffenden Praktiken und bauen ihr „Modell für Morgen“ auf die temporäre und emanzipative Aneignung bestehender Strukturen auf.

 

JESKO FEZER & AXEL JOHN WIEDER, UNITITLED (DIV. PLANUNGSTHEORIEN), 2007

Zentralbibliothek Köln, Josef-Haubrich-Hof 1, Di, Do 10:00–20:00 Uhr, Mi, Fr 10:00–18:00 Uhr, Sa 10:00–15:00 Uhr

Jesko Fezer (*1970) und Axel John Wieder (*1971) beschäftigen sich in ihrem als Archiv in der Zentralbibliothek präsentierten Beitrag mit unterschiedlichen Planungstheorien. Wie beziehen sich Theorie und Praxis der räumlichen Stadtplanung und -entwicklung auf Wirklichkeit und wie interpretieren sie diese? Planungstheorien evozieren eine (urbane) Realität, in die sie räumlich intervenieren. Sachzwang und Entscheidungsspielraum, demokratische Legitimation und Projektorientierung spielen dabei ebenso eine Rolle wie die neuen Rahmenbedingungen der postfordistischen Gesellschaft zwischen Globalisierung und Fragmentierung. In den 1970er Jahren als eigene Disziplin etabliert, spiegelt die Planungstheorie die Entwicklung von den Visionen der Spätmoderne zu unserer von ökonomischen Überlegungen geprägten Gegenwart. Planen, Gestalten und Bauen erscheinen vor diesem Hintergrund deshalb auch als Instrumentarien einer Transformation gesellschaftlicher und ideologischer Perspektiven in faktische Architektur.

 

Bik van der Pol, Untitled, 2007

Aral Tankstelle, Cäcilienstraße 32, Mo-So 0:00-24:00 Uhr

Liesbeth Bik und Jos van der Pol arbeiten seit 1995 unter dem Namen Bik van der Pol zusammen. Ihre Arbeiten laden das Publikum ein, über Orte, ihre Architektur und Geschichte nachzudenken. Gleichzeitig erforschen sie das Potenzial von Kunst, Wissen zu produzieren und zu vermitteln sowie kommunikative Situationen zu schaffen. In einer Tankstelle gegenüber jener Stelle, an der die Josef-Haubrich-Kunst-halle stand, mit deren Abriss sich die European Kunsthalle formierte, haben Bik van der Pol einen Schriftzug angebracht. Auf Englisch steht dort geschrieben: „Eigentlich Absurde Ideen führen schließlich zum Erfolg“. Der Text aktiviert Gedanken zum konkreten Ort, seiner Vergangenheit und einer möglichen Zukunft. Er visualisiert, dass dort, wo eigentlich nichts vorhanden ist, Räume entstehen können, die mehr als kurzlebige Gedankengebäude sind. Mittels Licht in Szene gesetzt, macht die Arbeit zudem deutlich, dass jede Idee, und sei sie auch noch so zerbrechlich, mit Hilfe von Medialisierung und Vermittlung konkrete Gestalt annehmen kann.

 

Silke Schatz, Orakel, 2007

Jesuitenkirche Sankt Peter, Jabachstraße 1, Di-Sa 11:00-17:00 Uhr, So 13:00-17:00 Uhr

Die Suche nach einem idealen Museum der Zukunft führt die in Köln lebende Künstlerin Silke Schatz (*1967) zurück in die Geschichte. Ihre Collage aus Malerei, Zeichnung und Fotokopien ist ein antiker Stadtplan Kölns jenseits historischer Faktizität mit Ausgrabungen und zeitgenössischen Blüten, mit Rückblicken in die antiken Anfänge der Stadt und archäologischen Verfremdungseffekten. Die Spurensuche der Vergangenheit lenkt den Blick nach vorne, doch die Zukunft scheint ungewiss. In der Jesuitenkirche St. Peter, selbst ein sakraler Ort zeitge-nössischer Kunst, präsentiert, wirkt Silke Schatz’ „Orakel 2007“ wie eine Vorausschau auf die Zukunft aus dem Wissen um die Relikt gewordene Geschichte. Antike Rituale, Kulte und Feste bilden aber auch den Hintergrund einer die politische Ausdrucksform der Collage nutzenden Arbeit, die aus dem scheinbar apodiktischen „Zukunft? Nein Danke!“ ihr eigenes Potenzial der Verweigerung konventioneller Modelle zugunsten alternativer Ideen- und Handlungsmuster generiert.

 

Tobias Rehberger, Untitled, 2007

Galeria Kaufhof, Dinea Restaurant, Hohe Straße 41-53, Mo-Do 9:30-20:00 Uhr, Fr/Sa 9:30-21:00 Uhr

Tobias Rehberger (*1966) arbeitet häufig in funktionalen und kommunikativen Zusammenhängen, die er in eine ästhetische Dimension überführt. Für die Ausstellung hat er drei Pavillons mit unterschiedlichen Proportionen entworfen. Was seine bonbonfarbenen geometrischen Strukturen nicht verraten, ist ihr Anwendungsbereich. Rehbergers Beitrag ist eine Anspielung auf prestigeträchtige Museumsbauten namhafter Architekten, welche mehr über ihre Äußerlichkeit als durch ihr Programm von sich Reden machen. Die Titel der Entwürf  – „kleines –“, „großes – “ und „ganz großes kino“ – spiegeln die populistischen Phrasen der Werbewelt, die Museumsbauten zu gewinnbringenden Zielen der „Eventkultur“ machen. Der begleitende Text in Versform stellt seine Entwürfe in Bezug zur Situation der European Kunsthalle. Zustandsbeschreibungen, eine Auswahl von Gegensatzpaaren und verbale Stolpersteinen stellen Analogien zur Gründungsphase der Institution her, die derzeit verschiedene programmatische Ansätze und Architekturoptionen abwägt.

 

Andreas Fogarasi, Kultur und Freizeit, 2006

Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Di 10:00-20:00 Uhr, Mi-Fr 10:00-18:00 Uhr, Sa/So 11:00-18:00 Uhr

Andreas Fogarasi (*1977) beschäftigt sich in seinen Videos, Installationen und Objekten mit konkreten kulturellen Praktiken und institutionellen Repräsentationsformen. Im Foyer des Wallraf-Richartz-Museums wird er für die Dauer der Ausstellung die Videoinstallation „Kultur und Freizeit“ präsentieren. Es handelt sich um eine begehbare Black Box, ein kleines Kino, in dem Fogarasis Filme über Budapester Kulturzentren zu sehen sind. Die skulpturale Qualität des Kubus, seine praktische Funktion und sein narrativer Inhalt – drei wichtige Versatzstücke institutioneller Settings – erlauben eine Vielzahl rezeptiver Annäherungen an „Kultur und Freizeit“. Die Videoarbeiten selbst thematisieren das Spannungsfeld repräsentativer sozialistischer Architektur als kulturelles Erbe Ungarns und der gegenwärtigen Umnutzungen der Kulturklubs. Fogarasi ver-weist so auf die verschiedenen historischen und sozialen Schichten von Öffentlichkeit und ihre divergierenden Kulturbegriffe.

Kultur und Freizeit, 2006 (Videostills)
Courtesy Georg Kargl Fine Arts, Wien

 

Olaf Nicolai, St. Kolumba oder: Considering a multiplicity of appearances in light of a particular aspect of relevance, 2007

St. Kolumba, Kolumbastraße 2-4, Mo-So 8:00-19:30 Uhr

Ein Hauptthema im vielschichtigen Werk von Olaf Nicolai (*1962) ist die Interdependenz von raumschaffenden und symbolischen Gesten. Die Eigendynamik solcher Setzungen unterstreicht seine Arbeit „St. Kolumba“: die Präsentation eines existierenden Raumes im Ausstellungskontext, eine Art räumliches Ready-Made.Nicolai bezeichnet diese Situation als „room snatching“ und bezieht sich dabei auf den Science-Fiction-Roman „The Body Snatchers“ von Jack Finney, in dem die Körper der Einwohner einer amerikanischen Kleinstadt von einer fremden Spezies besetzt und für ihre Reproduktion benutzt werden. Das Thema wird von Nicolai auf die künstlerische Praxis des Ready-Mades bezogen; eine Praxis, die mit der Präsentation vorgefundener Objekte im Kunstkontext zwar äußerlich eindeutige Zeichen benutzt, zugleich jedoch die Bedingungen ihrer Umcodierung artikuliert und so die Möglichkeiten jener multiplen Transitivität suggeriert. Dies setzt sich in einem begleitenden Künstlerbuch fort, das zur freien Mitnahme während der Ausstellungsdauer im Kapellenraum ausliegt. Dessen Buchseiten zeigen lediglich verschiedene Farbverläufe, die durch die Technik des Irisdruckes entstehen, bei dem sich die Farben während des Druckvorganges in der Maschine zufällig mischen. Auf diese Weise thematisiert Nicolai das komplexe Beziehungsgeflecht aus Bedürfnissen, Interessenlagen und Verhaltensweisen jenseits des offensichtlich Artikulierten und eröffnet so für die European Kunsthalle einen sich von den Gegebenheiten des Realen emanzipierenden Möglichkeitsraum mentaler Szenarien.

 

Liam Gillick, Revision in the Snow, 2007

Stadt Köln, Kundenzentrum Innenstadt, Laurenzplatz 1-3, Mo-Fr 7:00-19:00 Uhr, 1. Samstag im Monat, 10:00-13:00 Uhr

Liam Gillicks Textarbeit versteht sich als Teil einer längeren potenziellen Narration, die eine post-utopische Gesellschaft beschreibt sowie die Zeichensysteme des Öffentlichen, derer sich diese bedient und die sie unbewusst manchmal auch subvertiert. Bereits in früheren Texten wie „Discussion Island: The Big Conference Room“ und „Literally No Place“ hat Gillick öffentliche Architektur, Design und Städtebau als Orte markiert, an denen sich Machtstrukturen und Funktionsmechanismen postindustrieller Gesellschaften artikulieren. Auch seine für „Modelle für Morgen: Köln“ konzipierte Beschreibung einer möglichen neuen Institution jenseits lokaler Spezifika entfaltet sich vor dem Hintergrund kollabierender, aus modernistischen Idealen entstandener Systeme und einer dennoch im pragmatischen Sinn weiterhin funktionierenden Gesellschaft. Der städtische Raum Kölns figuriert hier als kommentierende Kulisse, zu der sich Gillicks Analyse einer bestehende Handlungsmodelle unterlaufenden kulturellen Praxis subtil in Gegensatz bringt.

 

An Te Liu, Being Disposed, 2007

Ecke Unter Goldschmied / Kleine Budengasse sowie Am Hof, Mo-So 0:00-24:00 Uhr

Strom- und Verteilerkästen im Stadtraum bilden das Medium für An Te Lius textbasierte Eingriffe in deren funktionales Design. Seine Zitate prägnanter Begriffe aus der Philosophie Martin Heideggers thematisieren das Verhältnis von Funktion und Dysfunktion, das Konzept von „Zuhanden“ und „Vorhanden“, den Gebrauchswert von Dingen oder die Idee der dilozierten Lokation. In der Verdichtung theoretischer Wirklichkeitsanalysen auf prägnante Begriffe plädieren sie für eine der Evidenz alltäglicher Funktions- und Regulationssystemen vorgeschaltet Diskursebene, indem sie deren Bedingungen hinterfragen. Beiläufig auf technischen Apparaturen platziert, wirken die sperrigen, ihrem Kontext enthobenen Begriffe wie intellektuelle Störungen des öffentlichen Lebens, in das sie eingebettet sind. Bezogen auf ihren Ort und doch ihm fremd, insistieren sie auf ein Nachdenken über das, was als selbstverständlich gegeben erscheint.

 

Karl Holmqvist, One of Many, 2007

Deutsche Bank SB-Banking Center Köln Am Dom, Bahnhofsvorplatz 1/Trankgasse, Mo-So 6:30-23:00 Uhr

Appropriationen und minimale Interventionen, die sich der Wahrnehmung entziehen, sind kennzeichnend für Karl Holmqvists (*1964) Arbeiten. Häufig beschäftigt er sich mit der Funktion des menschlichen Gedächtnisses oder dem kollektiven Unterbewussten. Sein Beitrag zur Ausstellung „Modelle für Morgen: Köln“ ist „One of Many “ –eine Euromünze, die in einer Vitrine im 24h Cashpoint der Deutschen Bank platziert ist. Die Münze ist gleich in zweifacher Weise ein ortsspezifisches Werk: So akzentuiert sie den Kreislauf des Geldes, dem sie entnommen ist und den die Bank repräsentiert. Mit ihrer Miniaturprägung der europäischen Landkarte öffnet sie gleichzeitig einen gedanklichen Raum, der über den konkreten Ort hinausweist und den europäischen Horizont als möglichen Handlungsrahmen der European Kunsthalle visualisiert. Als „One of Many“ – eine unter vielen – steht sie auch stellvertretend für das Kapital, dessen Vermehrung die Grundlage aller zukünftigen Aktivitäten der European Kunsthalle ist. 

Spaces of Production

V

Nikolaus Hirsch, Philipp Misselwitz, Markus Miessen, Matthias Görlich

„Spaces of Production“ ist eine Studie zur architektonischen Konzeptualisierung und praktischen Anwendung einer räumlichen Strategie für die European Kunsthalle. Sie ist nicht das Ergebnis rein theoretisch-konzeptueller Überlegungen, sondern das Resultat einer in die Aktivitäten der zweijährigen Gründungsphase der European Kunsthalle von 2005 bis 2007 eingebundenen Arbeitspraxis. Die räumliche Strategie für die European Kunsthalle ist somit das Ergebnis einer „angewandten Forschung“ – eines iterativen, durch Rückkopplungen zwischen Theorie und Praxis geprägten Ansatzes.

Die physisch-räumliche Konfiguration der European Kunsthalle – einer Institution bislang ohne öffentliche Fassade und eigenen Ausstellungsraum – ist sowohl Einschränkung als auch Chance. Im Vergleich mit zeitgenössischen institutionellen Praktiken in Europa erweist sich die Kombination von Produktionsbüro und instabiler, temporärer Aneignung von Räumen für die programmatische Arbeit als ein Modell, das ein Feld von Möglichkeiten eröffnet, um das etablierte „stabile“ Modell der Kunsthalle neu zu denken. Die Untersuchung des Begriffspaars „Stabilität“ und „Instabilität“, ihrer gegenseitigen Vor- und Nachteile in Bezug auf die Frage der Kunstinstitution, bildet die konzeptuelle Klammer der Studie.

Beide Ansätze haben ihre inhärenten Möglichkeiten. Hoch kontrollierte Environments –abgeschlossene und neutrale Innenräume in einem stabilen architektonischen Gehäuse – garantieren die Autonomie der programmatischen und sozialen Struktur der Institution. Jede Nutzungsänderung steht daher in direkter Abhängigkeit zu den inhärenten Möglichkeiten architektonischer Elemente wie Wand, Boden und Decke. Instabile Institutionen hingegen versprechen die Verschmelzung mit dem urbanen Alltag der Umgebung. Sie sind definiert durch flexible, dynamische Grenzen. Im Gegensatz zu den architektonischen Strategien stabiler Institutionen besteht die „Materialstrategie“ hier aus unterschiedlichen Rhythmen von visueller Protektion und Exposition, Schnelligkeit und Langsamkeit, Lärm und Stille.
Der von „Spaces of Production“ entwickelte Ansatz versucht, „Stabilität“ und „Instabilität“ konstruktiv zusammen zu denken und damit eine Strategie für die European Kunsthalle vorzuschlagen, welche die Kunsthalle kommunal, regional, national und international im zeitgenössischen Diskurs positioniert. Angewandt auf die spezifische Situation in Köln entwickelten Nikolaus Hirsch, Philipp Misselwitz, Markus Miessen und Matthias Göhrlich drei verschiedene räumliche Strategien: eine instabile Konfiguration, eine stabile Strategie und ein Modell, das die Potentiale der beiden Varianten in einer wachsenden Institution zusammenführt.

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Publikationen

Institution Building. Artists, Curators, Architects in the Struggle for Institutional Space

Ed. by Nikolaus Hirsch, Philipp Misselwitz, Markus Miesen, Matthias Görlich. Sternberg Press, Berlin 2009, ISBN 978-1-933128-54-2

What defines the contemporary art space? Who are the authors in the construction of an institution? Is it possible to build an institution while producing art? In times in which artists create buildings, architects contribute to art exhibitions, and curators act like artists, it seems to be possible to rethink the classical role models, and thus to renegotiate the relation between art production, the exhibition and its spatial envelope.

European Kunsthalle 2005 2006 2007

Die Publikation „European Kunsthalle 2005 2006 2007“, herausgegeben von Vanessa Joan Müller und Astrid Wege, resümiert die Aktivitäten und Erfahrungen der European Kunsthalle während der Gründungsphase. Zugleich gewährt sie Ausblicke, wie das Projekt European Kunsthalle fortgesetzt werden kann. So wird u. a. die viel diskutierte Frage nach dem Verhältnis der inhaltlich-programmatischen Aktivitäten einer Institution für zeitgenössische Kunst und ihrer räumlich-architektonischen Verortung in dem Beitrag „Spaces of Production“ weitergedacht. Er skizziert ein Szenario zwischen traditionellem Ausstellungsraum und dezentraler, temporärer Positionierung als räumlich-physische Handlungsoption für die European Kunsthalle in Köln.

Die Publikation mit Beiträgen von Vanessa Joan Müller, Astrid Wege, Tom Holert, Julia Höner, Nikolaus Hirsch, Philipp Misselwitz, Markus Miessen und Matthias Görlich können Sie hier downloaden.

Die Frage des Tages

Entspricht eine Kunsthalle noch den heutigen Anforderungen und Bedürfnissen zeitgenössischer Kunstvermittlung und der Präsentation von Kunst? Welche Rolle nimmt die Kunst innerhalb sich verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ein und welches sind die Parameter ihrer kulturellen Institutionen? Diese Ausgangsfragen stellte sich das Gründungsteam der European Kunsthalle von Juni 2005 bis Mai 2007 und gab sie in dem Web-Projekt „Die Frage des Tages“ an KünstlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen, GaleristInnen und TheoretikerInnen weiter. Das zum Abschluss des Projekts erschienene Buch versammelt ihre Antworten, Statements und Anregungen.

Herausgegeben von Nicolaus Schafhausen und Julia Moritz. Sternberg Press, Berlin 2007. ISBN 978-1-933128-29-0.

Under Construction.
Perspektiven Institutionellen Handelns

Im März 2006 präsentierte die EUROPEAN KUNSTHALLE mit „Under Construction“ eine Veranstaltungsreihe, die täglich an verschiedenen kulturellen Orten in Köln stattfand. Aktuelle Fragen zu Standortpolitik, Finanzierungsmodellen, Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst und ihrer institutionellen Präsentation bildeten den thematischen Rahmen. Anliegen von „Under Construction“ war es, Vertreter unterschiedlicher Disziplinen zusammenzuführen und den Findungsprozess möglicher Parameter einer neuen europäischen Kunsthalle einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Publikation „Under Construction. Perspektiven institutionellen Handelns“ dokumentiert einen Großteil dieser Veranstaltungen.

Herausgegeben von Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2006. ISBN 978-3-86560-118-6 (deutsche Ausgabe), ISBN 978-3-86560-119-3 (englische Ausgabe).

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Kontakt

European Kunsthalle e.V.

Künstlerische Leitung: Rike Frank, Vanessa Joan Müller

Vorstand: Sabeth Buchmann, Dorit Margreiter, Kate Strain, Pieternel Vermoortel

Programmteam 2011-2013: Vanessa Joan Müller, Astrid Wege

Programmteam 2008-2010: Rike Frank, Anders Kreuger, Astrid Wege

Gründungsteam 2005-2007: Nicolaus Schafhausen, Vanessa Joan Müller, Nikolaus Hirsch, Markus Miessen, Philipp Misselwitz, Matthias Görlich

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