Montagnachmittag. Ich renne. Wie so oft bin ich spät dran. Dieses Mal muss ich zur S-Bahn Station St. Marx. Normalerweise würde ich diese Strecke in circa 13 Minuten zu fuß gehen. Jetzt muss ich sie in 8 Minuten schaffen. Ich renne schneller. Überquere zwei Kreuzungen waghalsig bei Rot. Nur noch zwei Minuten. Kurz überlege ich, ob ich einfach aufgeben soll. Die Bahn werde ich ohnehin nicht mehr bekommen, denke ich mir. Doch irgend etwas in mir, lässt mich weiterlaufen, peitscht mich voran. Noch voller Adrenalin springe ich, ganz außer Atem, in den Zug der Linie 7. Ich versuche runterzukommen und per App ein Online-Ticket zu kaufen. Anschließend setze ich mich und schließe die Augen. Meine Maske ist unangenehm feucht. Ich döse ein wenig. Die Ansage im Zug lässt mich nach einer Weile wissen, dass wir gleich da sind: Flughafen Wien. Beim Blick nach draußen kann ich bereits den Tower entdecken. Mein Puls steigt wieder. Ich denke an September 2012. Wie immer, wenn ich zum Flughafen fahre. Dieses Datum markiert das letzte Mal, dass ich in ein Flugzeug gestiegen bin. Auch heute werde ich keines betreten. Ich habe Flugangst. Ich bin hier, weil ich meinen Partner verabschiede. Er wird in Belgien arbeiten für die nächsten Wochen. Da wir aus unterschiedlichen Stadtteilen anreisen, treffen wir uns direkt am Terminal 3. Ich komme 20 Minuten vor ihm an, spaziere von einer Ebene zur nächsten. Dabei beobachte ich die vielen Menschen, wie sie sich in fast beinahe perfekt anzunehmenden Linien von A nach B durch das Gebäude bewegen. Eine kollektive, funktionale Choreographie. Ich möchte Teil davon sein. Meine Versuche, mit interessanten Personen ins Gespräch zu kommen, um sie nach der Sprache meiner Nachricht zu fragen, scheitern. „Keine Zeit“, Kopfschütteln und „kein Interesse“ sind die Antworten. An einem Transitort mit Fremden ins Gespräch zu kommen, ist nicht so einfach, bemerke ich. Ich kaufe mir einen Kaffee. Mit dem Pappbecher in der Hand gehe ich zu meinem Lieblingsort. Das sind die beiden zentralen Tore, an welchen alle ankommenden Passagiere, vom abgesperrten Teil des Flughafens her kommend, auf uns Wartende treffen. Dieser Ort ist voller Freude, Erleichterung und für viele das erste Gesicht, das sie von dieser Stadt zu sehen bekommen. Eigentlich bin hier falsch, wie ich feststelle. Ich warte zwar auf jemanden, aber nicht auf dessen Ankunft, sondern auf dessen Abreise. Ich reihe mich aus Neugier trotzdem zu den anderen mit ein. Wir stehen vor einer Holzbalustrade. Wieder kommt ein Schwall Menschen an. Rings um mich: Begrüßungsrituale. Ich versuche diesen Moment zu nutzen, um ungesehen einen Schluck meines Kaffees zu nehmen. Im Wissen, etwas nicht Erlaubtes zu tun, schiebe ich meine Maske hastig zur Seite und führe den Becher schnell zu meinen Lippen. Eine junge Frau neben mir erwischt mich dabei. Meine Aktion scheint albern auszusehen, da sich meine Maske im rechten Bügel meiner Brille verheddert hat. Sie beginnt zu lachen und sagt „Illegal“. Ich lache auch und sage nur „Pssst“. Wir kommen ins Gespräch. Sie wartet auf ihren Bruder aus Istanbul. Sein Flug sollte der Nächste sein. Ich bitte sie freundlich darum, sich meine Message anzuhören. Wir hören sie dreimal. Sie meint, dass es für sie so klänge, wie wenn eine Person mit Muttersprache Persisch auf Georgisch sprechen würde. Kein Türkisch jedenfalls. Wie sie auf diese sehr komplexe Annahme käme, möchte ich von ihr wissen. „Hör dir mal auf YouTube Georgisch an“ antwortet sie mir. Es seien genau diese Sprachlaute aber mit anderem Akzent, folgt sie fort. Plötzlich zucke ich zusammen. Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um. Mein Partner ist da. Er hat mich gefunden. Wir wechseln das Terminal. Der Abschied ist da. Ein illegaler Kuss zwischen halbabgenommen Masken. Dieses Mal unbeobachtet. À bientôt! Bis bald.