Ich bin nervös. Das bin eigentlich immer wenn ich diesen Termin im Kalender stehen habe. Heute ist es mehr als bloße Nervosität. Heute ist es eine kribbelnde Aufregung. Ich schaue auf die Uhr und dann wieder geradewegs auf die Straße vor mir. Da ist sie schon, die weiß-rot-blaue, sich drehende Säule an der Fassade. Sie markiert den Eingang zu meinem Ziel, einem Barbershop. Ich habe die Türklinke in der Hand und atme tief durch. Warum ich jedes Mal so aufgeregt bin, wenn ich zum Barbier gehe, frage ich mich selbst. Ich schüttle leicht den Kopf und schmunzle über meine Eigenheiten. Zeit darüber zu reflektieren, bleibt mir nicht. Ich werde bereits mit einem herzlichen Hallo empfangen. Küsschen auf die Wange, wie sonst immer, müssen zur Sicherheit entfallen. Doch Mehmet, der Inhaber des Ladens, schafft es auch ohne körperliches Begrüßungsritual durch seine warme Art sofort eine angenehme, sehr intime Stimmung zu verbreiten. „Wie man an dir sehen kann, haben wir uns lange nicht gesehen“ scherzt er, als er mir den Umhang am Hals schließt. Wir lachen. Ich komme schon seit längerer Zeit zu ihm in seinen Barbershop. Wir kennen uns also ein wenig. Ob ich nun wieder viel Arbeit habe, möchte er wissen. Ich erzähle ihm von meinen Projekten und auch über The Messenger. Unser Gespräch wird mehrmals unterbrochen, weil Mehmet, den ganzen Laden immer im Blick habend, alle ein- und ausgehenden Kunden, persönlich begrüßt und verabschiedet und gleichzeitig noch Anweisungen an seine Mitarbeiter gibt. Neben mir stehen noch vier weitere Friseurstühle, an denen alle ohne Pause geschnitten, rasiert und getrimmt wird. Für einen Moment ist unser Gespräch ganz verstummt. Ich schließe die Augen und genieße die Geräuschkulisse. Man hört das Surren der Rasierapparate, das filigrane Schnippeln der Haarscheren, kurz Mal ein lautes Rauschen eines Föns und immer wieder Stimmen, Gelächter und auch mal ein kleiner Schmerzensschrei von empfindlichen Männern beim Augenbrauen Zupfen mit dem Faden. Ein angenehmes Gefühl macht sich in mir breit, als mir Mehmet sanft über die Wange streicht. Ich reiße die Augen wieder auf, weil ich selbst bemerkt habe, dass mein Kopf, ganz automatisch, den Berührungen seiner Fingerrücken folgt. Es ist mir etwas peinlich. Er lacht. „Schau, passt das so?“ Ich blicke in den Spiegel, nicke. Er kippt den Stuhl nach hinten. Jetzt wird es ernst. Auch meine Augenbrauen sind nun an der Reihe. Er hat den weißen Faden schon zwischen die Finger gespannt als ich ihn aus dem Nichts heraus frage, ob er sich nun meine Nachricht anhören könnte. Schließlich trifft er ja auf viele Menschen, denk ich mir. Vielleicht möchte ich auch einfach nur den unangenehmen Moment hinauszögern, wie ein Kind, das nicht zu Bett gehen möchte. Bevor er überhaupt zustimmen kann, ziehe ich bereits mein Telefon aus der Tasche und spiele die Nachricht ab. „Das ist Armenisch, Bruder.“ sagt er mit einer beiläufigen Selbstverständlichkeit , als hätte ich ihn gefragt, welcher Wochentag heute sei. Ein Kollege unterbricht uns. Ob er das spreche, möchte ich wissen, als er beginnt meine Brauen zu zupfen. „Nein, aber ich hatte einen Friseur hier im Laden angestellt, der Armenier ist“ antwortet er mir. Er sei sich also zu hundert Prozent sicher. Auch sein Angestellter vom Nebenstuhl stimmt ihm zu. Ich bin so aufgeregt über diese Information, dass ich die Schönheitsprozedur gar nicht mehr schmerzhaft wahrnehme. Wir verabschieden uns. „Spätestens in vier Wochen bist du wieder hier“ ruft er mir noch in seinem freundlich ironischen Ton nach. Voller Glücksgefühle und Hoffnung spaziere ich nach Hause, durchquere dabei den ersten Bezirk. Ich teile diese News mit einem Freund, tippe ihm eine Nachricht. Wir verabreden uns für morgen Abend. Er wird einen Freund fragen auch dazuzukommen. Der sei Armenier. Als ich wieder nach vorne schaue, sehe ich einen Mann vor mir, der Jesus auf den Nacken tätowiert hat. Ich folge ihm aus Neugier. Wir kommen am Stephansplatz an. Jesus biegt nach links ab, vor Zara Freunde treffen. Wenn das nicht ein Zeichen ist.